Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 189

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 doch bewußt ist, daß es nicht von der Beschaffenheit sei, es mit unbedingtem      
  02 Zutrauen zu betheuern, dieses alles hält der Heuchler für nichts.      
  03 - Die ächte, mit der Religion allein vereinbarte Sicherheitsmaxime ist      
  04 gerade die umgekehrte: was als Mittel oder als Bedingung der Seligkeit      
  05 mir nicht durch meine eigene Vernunft, sondern nur durch Offenbarung      
  06 bekannt und vermittelst eines Geschichtsglaubens allein in meine      
  07 Bekenntnisse aufgenommen werden kann, übrigens aber den reinen moralischen      
  08 Grundsätzen nicht widerspricht, kann ich zwar nicht für gewiß glauben      
  09 und betheuern, aber auch eben so wenig als gewiß falsch abweisen.      
  10 Gleichwohl, ohne etwas hierüber zu bestimmen, rechne ich darauf, daß,      
  11 was darin Heilbringendes enthalten sein mag, mir, sofern ich mich nicht      
  12 etwa durch den Mangel der moralischen Gesinnung in einem guten Lebenswandel      
  13 dessen unwürdig mache, zu gut kommen werde. In dieser      
  14 Maxime ist wahrhafte moralische Sicherheit, nämlich vor dem Gewissen      
  15 (und mehr kann von einem Menschen nicht verlangt werden), dagegen ist      
  16 die höchste Gefahr und Unsicherheit bei dem vermeinten Klugheitsmittel,      
  17 die nachtheiligen Folgen, die mir aus dem Nichtbekennen entspringen      
  18 dürften, listiger Weise zu umgehen und dadurch, daß man es mit beiden      
  19 Parteien hält, es mit beiden zu verderben.      
           
  20 Wenn sich der Verfasser eines Symbols, wenn sich der Lehrer einer      
  21 Kirche, ja jeder Mensch, sofern er innerlich sich selbst die Überzeugung      
  22 von Sätzen als göttlichen Offenbarungen gestehen soll, fragte: getrauest      
  23 du dich wohl in Gegenwart des Herzenskündigers mit Verzichtthuung auf      
  24 alles, was dir werth und heilig ist, dieser Sätze Wahrheit zu betheuren?      
  25 so müßte ich von der menschlichen (des Guten doch wenigstens nicht ganz      
  26 unfähigen) Natur einen sehr nachtheiligen Begriff haben, um nicht vorauszusehen,      
  27 daß auch der kühnste Glaubenslehrer hiebei zittern müßte .      
           
    *†) Der nämliche Mann, der so dreust ist zu sagen: wer an diese oder jene Geschichtslehre als eine theure Wahrheit nicht glaubt, der ist verdammt, der müßte doch auch sagen können: wenn das, was ich euch hier erzähle, nicht wahr ist, so will ich verdammt sein! - Wenn es jemand gäbe, der einen solchen schrecklichen Ausspruch thun könnte, so würde ich rathen, sich in Ansehung seiner nach dem persischen Sprichwort von einem hadgi zu richten: ist jemand einmal (als Pilgrim) in Mekka gewesen, so ziehe aus dem Hause, worin er mit dir wohnt; ist er zweimal da gewesen, so ziehe aus derselben Straße, wo er sich befindet; ist er aber dreimal da gewesen, so verlasse die Stadt, oder gar das Land, wo er sich aufhält!      
           
     

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