Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 192

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Nun sind Mittel alle Zwischenursachen, die der Mensch in seiner      
  02 Gewalt hat, um dadurch eine gewisse Absicht zu bewirken, und da giebts,      
  03 um des himmlischen Beistandes würdig zu werden, nichts anders (und      
  04 kann auch kein anderes geben), als ernstliche Bestrebung seine sittliche Beschaffenheit      
  05 nach aller Möglichkeit zu bessern und sich dadurch der Vollendung      
  06 ihrer Angemessenheit zum göttlichen Wohlgefallen, die nicht in seiner      
  07 Gewalt ist, empfänglich zu machen, weil jener göttliche Beistand, den      
  08 er erwartet, selbst eigentlich doch nur seine Sittlichkeit zur Absicht hat.      
  09 Daß aber der unlautere Mensch ihn da nicht suchen werde, sondern lieber      
  10 in gewissen sinnlichen Veranstaltungen (die er freilich in seiner Gewalt      
  11 hat, die aber auch für sich keinen bessern Menschen machen können und      
  12 nun doch übernatürlicher Weise dieses bewirken sollen), war wohl schon      
  13 a priori zu erwarten, und so findet es sich auch in der That. Der Begriff      
  14 eines sogenannten Gnadenmittels, ob er zwar (nach dem, was eben      
  15 gesagt worden) in sich selbst widersprechend ist, dient hier doch zum Mittel      
  16 einer Selbsttäuschung, welche eben so gemein als der wahren Religion      
  17 nachtheilig ist.      
           
  18 Der wahre (moralische) Dienst Gottes, den Gläubige als zu seinem      
  19 Reich gehörige Unterthanen, nicht minder aber auch (unter Freiheitsgesetzen)      
  20 als Bürger desselben zu leisten haben, ist zwar so wie dieses selbst      
  21 unsichtbar, d. i. ein Dienst der Herzen (im Geist und in der Wahrheit)      
  22 und kann nur in der Gesinnung, der Beobachtung aller wahren      
  23 Pflichten als göttlicher Gebote, nicht in ausschließlich für Gott bestimmten      
  24 Handlungen bestehen. Allein das Unsichtbare bedarf doch beim Menschen      
  25 durch etwas Sichtbares (Sinnliches) repräsentirt, ja, was noch mehr      
  26 ist, durch dieses zum Behuf des Praktischen begleitet und, obzwar es intellectuell      
  27 ist, gleichsam (nach einer gewissen Analogie) anschaulich gemacht      
  28 zu werden; welches, obzwar ein nicht wohl entbehrliches, doch zugleich der      
  29 Gefahr der Mißdeutung gar sehr unterworfenes Mittel ist, uns unsere      
  30 Pflicht im Dienste Gottes nur vorstellig zu machen, durch einen uns überschleichenden      
  31 Wahn doch leichtlich für den Gottesdienst selbst gehalten      
  32 und auch gemeiniglich so benannt wird.      
           
  33 Dieser angebliche Dienst Gottes, auf seinen Geist und seine wahre      
  34 Bedeutung, nämlich eine dem Reich Gottes in uns und außer uns sich      
  35 weihende Gesinnung, zurückgeführt, kann selbst durch die Vernunft in vier      
  36 Pflichtbeobachtungen eingetheilt werden, denen aber gewisse Förmlichkeiten,      
  37 die mit jenen nicht in nothwendiger Verbindung stehen, correspondirend      
           
     

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