Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 233

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 So wie wir nun in der reinen Mathematik die Eigenschaften ihres      
  02 Objects nicht unmittelbar vom Begriffe ableiten, sondern nur durch      
  03 die Construction des Begriffs entdecken können, so ists nicht sowohl      
  04 der Begriff des Rechts, als vielmehr der unter allgemeine Gesetze gebrachte,      
  05 mit ihm zusammenstimmende durchgängig wechselseitige und      
  06 gleiche Zwang, der die Darstellung jenes Begriffs möglich macht.      
  07 Dieweil aber diesem dynamischen Begriffe noch ein bloß formaler      
  08 in der reinen Mathematik (z. B. der Geometrie) zum Grunde liegt:      
  09 so hat die Vernunft dafür gesorgt, den Verstand auch mit Anschauungen      
  10 a priori zum Behuf der Construction des Rechtsbegriffs so      
  11 viel möglich zu versorgen. - Das Rechte ( rectum ) wird als das      
  12 Gerade theils dem Krummen, theils dem Schiefen entgegen      
  13 gesetzt. Das erste ist die innere Beschaffenheit einer Linie von      
  14 der Art, daß es zwischen zwei gegebenen Punkten nur eine einzige,      
  15 das zweite aber die Lage zweier einander durchschneidenden oder      
  16 zusammenstoßenden Linien, von deren Art es auch nur eine einzige      
  17 (die senkrechte) geben kann, die sich nicht mehr nach einer Seite      
  18 als der andern hinneigt, und die den Raum von beiden Seiten gleich      
  19 abtheilt, nach welcher Analogie auch die Rechtslehre das Seine      
  20 einem jeden (mit mathematischer Genauigkeit) bestimmt wissen will,      
  21 welches in der Tugendlehre nicht erwartet werden darf, als welche      
  22 einen gewissen Raum zu Ausnahmen ( latitudinem ) nicht verweigern      
  23 kann. - Aber ohne ins Gebiet der Ethik einzugreifen, giebt es zwei      
  24 Fälle, die auf Rechtsentscheidung Anspruch machen, für die aber      
  25 keiner, der sie entscheide, ausgefunden werden kann, und die gleichsam      
  26 in Epikur's intermundia hingehören. - Diese müssen wir zuvörderst      
  27 aus der eigentlichen Rechtslehre, zu der wir bald schreiten      
  28 wollen, aussondern, damit ihre schwankenden Principien nicht auf      
  29 die festen Grundsätze der erstern Einfluß bekommen.      
           
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Anhang

     
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zur Einleitung in die Rechtslehre.

     
           
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Vom zweideutigen Recht.
     
  33
( Ius aequivocum. )
     
           
  34 Mit jedem Recht in enger Bedeutung ( ius strictum ) ist die Befugniß      
  35 zu zwingen verbunden. Aber man denkt sich noch ein Recht im      
           
     

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