Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 239

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01

Eintheilung

     
  02

der Metaphysik der Sitten überhaupt.

     
           
  03
I
     
           
  04 Alle Pflichten sind entweder Rechtspflichten ( officia iuris ), d. i.      
  05 solche, für welche eine äußere Gesetzgebung möglich ist, oder Tugendpflichten      
  06 ( officia virtutis s. ethica ), für welche eine solche nicht möglich      
  07 ist; - die letztern können aber darum nur keiner äußeren Gesetzgebung      
  08 unterworfen werden, weil sie auf einen Zweck gehen, der (oder welchen zu      
  09 haben) zugleich Pflicht ist; sich aber einen Zweck vorzusetzen, das kann      
  10 durch keine äußerliche Gesetzgebung bewirkt werden (weil es ein innerer      
  11 Act des Gemüths ist); obgleich äußere Handlungen geboten werden mögen,      
  12 die dahin führen, ohne doch daß das Subject sie sich zum Zweck macht.      
           
  13 Warum wird aber die Sittenlehre (Moral) gewöhnlich (namentlich      
  14 vom Cicero) die Lehre von den Pflichten und nicht auch von      
  15 den Rechten betitelt? da doch die einen sich auf die andern beziehen.      
  16 - Der Grund ist dieser: Wir kennen unsere eigene Freiheit (von der      
  17 alle moralische Gesetze, mithin auch alle Rechte sowohl als Pflichten      
  18 ausgehen) nur durch den moralischen Imperativ, welcher ein      
  19 pflichtgebietender Satz ist, aus welchem nachher das Vermögen,      
  20 andere zu verpflichten, d. i. der Begriff des Rechts, entwickelt werden      
  21 kann.      
           
  22
II
     
           
  23 Da in der Lehre von den Pflichten der Mensch nach der Eigenschaft      
  24 seines Freiheitsvermögens, welches ganz übersinnlich ist, also auch bloß      
  25 nach seiner Menschheit, als von physischen Bestimmungen unabhängiger      
  26 Persönlichkeit, ( homo noumenon ) vorgestellt werden kann und soll, zum      
  27 Unterschiede von eben demselben, aber als mit jenen Bestimmungen behafteten      
  28 Subject, dem Menschen ( homo phaenomenon ), so werden Recht      
  29 und Zweck, wiederum in dieser zwiefachen Eigenschaft auf die Pflicht bezogen,      
  30 folgende Eintheilung geben.      
           
           
     

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