Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 387

     
           
 

Zeile:

 

Text (Kant):

 

 

 

 
  01 also nichts anders sein als Cultur seines Vermögens (oder der Naturanlage),      
  02 in welchem der Verstand als Vermögen der Begriffe, mithin      
  03 auch deren, die auf Pflicht gehen, das oberste ist, zugleich aber auch seines      
  04 Willens (sittlicher Denkungsart) aller Pflicht überhaupt ein Gnüge zu      
  05 thun. 1) Es ist ihm Pflicht: sich aus der Rohigkeit seiner Natur, aus der      
  06 Thierheit ( quoad actum ), immer mehr zur Menschheit, durch die er allein      
  07 fähig ist sich Zwecke zu setzen, empor zu arbeiten: seine Unwissenheit durch      
  08 Belehrung zu ergänzen und seine Irrthümer zu verbessern, und dieses ist      
  09 ihm nicht blos die technisch=praktische Vernunft zu seinen anderweitigen      
  10 Absichten (der Kunst) anräthig, sondern die moralisch=praktische gebietet      
  11 es ihm schlechthin und macht diesen Zweck ihm zur Pflicht, um der      
  12 Menschheit, die in ihm wohnt, würdig zu sein. 2) Die Cultur seines      
  13 Willens bis zur reinsten Tugendgesinnung, da nämlich das Gesetz zugleich      
  14 die Triebfeder seiner pflichtmäßigen Handlungen wird, zu erheben      
  15 und ihm aus Pflicht zu gehorchen, welches innere moralisch=praktische Vollkommenheit      
  16 ist, die, weil es ein Gefühl der Wirkung ist, welche der in ihm      
  17 selbst gesetzgebende Wille auf das Vermögen ausübt darnach zu handeln,      
  18 das moralische Gefühl, gleichsam ein besonderer Sinn ( sensus moralis ),      
  19 ist, der zwar freilich oft schwärmerisch, als ob er (gleich dem Genius      
  20 des Sokrates) vor der Vernunft vorhergehe, oder auch ihr Urtheil gar entbehren      
  21 könne, mißbraucht wird, doch aber eine sittliche Vollkommenheit      
  22 ist, jeden besonderen Zweck, der zugleich Pflicht ist, sich zum Gegenstande      
  23 zu machen.      
           
  24

B.

     
  25

Fremde Glückseligkeit.

     
           
  26 Glückseligkeit, d. i. Zufriedenheit mit seinem Zustande, sofern man      
  27 der Fortdauer derselben gewiß ist, sich zu wünschen und zu suchen ist der      
  28 menschlichen Natur unvermeidlich; eben darum aber auch nicht ein Zweck,      
  29 der zugleich Pflicht ist. - Da einige noch einen Unterschied zwischen einer      
  30 moralischen und physischen Glückseligkeit machen (deren erstere in der Zufriedenheit      
  31 mit seiner Person und ihrem eigenen sittlichen Verhalten, also      
  32 mit dem, was man thut, die andere mit dem, was die Natur beschert,      
  33 mithin was man als fremde Gabe genießt, bestehe): so muß man bemerken,      
  34 daß, ohne den Mißbrauch des Worts hier zu rügen (das schon      
  35 einen Widerspruch in sich enthält), die erstere Art zu empfinden allein zum      
           
     

[ Seite 386 ] [ Seite 388 ] [ Inhaltsverzeichnis ]