Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 391

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Anderer aus seinem Rechte wohl Handlungen nach dem Gesetz, aber nicht      
  02 daß dieses auch zugleich die Triebfeder zu denselben enthalte, von mir fordern      
  03 kann. Eben dieselbe Bewandtniß hat es auch mit dem allgemeinen      
  04 ethischen Gebote: "Handle pflichtmäßig aus Pflicht." Diese Gesinnung      
  05 in sich zu gründen und zu beleben ist so wie die vorige verdienstlich:      
  06 weil sie über das Pflichtgesetz der Handlungen hinaus geht und das Gesetz      
  07 an sich zugleich zur Triebfeder macht.      
           
  08 Aber eben darum müssen auch diese Pflichten zur weiten Verbindlichkeit      
  09 gezählt werden, in Ansehung deren ein subjectives Princip ihrer      
  10 ethischen Belohnung (und zwar um sie dem Begriffe einer engen Verbindlichkeit      
  11 so nahe als möglich zu bringen), d. i. der Empfänglichkeit derselben      
  12 nach dem Tugendgesetze, statt findet, nämlich einer moralischen Lust,      
  13 die über die bloße Zufriedenheit mit sich selbst (die blos negativ sein kann)      
  14 hinaus geht und von der man rühmt, daß die Tugend in diesem Bewußtsein      
  15 ihr eigner Lohn sei.      
           
  16 Wenn dieses Verdienst ein Verdienst des Menschen um andere Menschen      
  17 ist, ihren natürlichen und von allen Menschen dafür anerkannten      
  18 Zweck zu befördern (ihre Glückseligkeit zu der seinigen zu machen), so könnte      
  19 man dies das süße Verdienst nennen, dessen Bewußtsein einen moralischen      
  20 Genuß verschafft, in welchem Menschen durch Mitfreude zu schwelgen      
  21 geneigt sind; indessen daß das sauere Verdienst, anderer Menschen      
  22 wahres Wohl, auch wenn sie es für ein solches nicht erkennten, (an      
  23 Unerkenntlichen, Undankbaren) doch zu befördern, eine solche Rückwirkung      
  24 gemeiniglich nicht hat, sondern nur Zufriedenheit mit sich selbst bewirkt,      
  25 obzwar es in letzterem Falle noch größer sein würde.      
           
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VIII

     
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Exposition der Tugendpflichten

     
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als weiter Pflichten.

     
           
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1. Eigene Vollkommenheit als Zweck, der zugleich Pflicht ist.
     
           
  30 a) Physische, d. i. Cultur aller Vermögen überhaupt zu Beförderung      
  31 der durch die Vernunft vorgelegten Zwecke. Daß dieses Pflicht,      
  32 mithin an sich selbst Zweck sei, und jener Bearbeitung auch ohne Rücksicht      
  33 auf den Vortheil, den sie uns gewährt, nicht ein bedingter (pragmatischer),      
  34 sondern unbedingter (moralischer) Imperativ zum Grunde liege, ist hieraus      
           
     

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