Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 473

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 in jenem ist auch die Vorstellung und Beherzigung der Gleichheit unter      
  02 Menschen, mithin die Idee dadurch selbst verpflichtet zu werden, indem      
  03 man Andere durch Wohlthun verpflichtet, enthalten; gleichsam als Brüder      
  04 unter einem allgemeinen Vater, der Aller Glückseligkeit will. - Denn      
  05 das Verhältniß des Beschützers als Wohlthäters zu dem Beschützten als      
  06 Dankpflichtigen ist zwar ein Verhältniß der Wechselliebe, aber nicht der      
  07 Freundschaft: weil die schuldige Achtung beider gegen einander nicht gleich      
  08 ist. Die Pflicht als Freund den Menschen wohl zu wollen (eine nothwendige      
  09 Herablassung) und die Beherzigung derselben dient dazu, vor dem      
  10 Stolz zu verwahren, der die Glücklichen anzuwandeln pflegt, welche das      
  11 Vermögen wohl zu thun besitzen.      
           
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Zusatz.

     
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Von den Umgangstugenden

     
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( virtutes homileticae ).

     
           
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§ 48.
     
           
  16 Es ist Pflicht sowohl gegen sich selbst, als auch gegen Andere, mit      
  17 seinen sittlichen Vollkommenheiten unter einander Verkehr zu treiben ( officium      
  18 commercii, sociabilitas ), sich nicht zu isoliren ( separatistam agere );      
  19 zwar sich einen unbeweglichen Mittelpunkt seiner Grundsätze zu machen,      
  20 aber diesen um sich gezogenen Kreis doch auch als einen, der den Theil      
  21 von einem allbefassenden der weltbürgerlichen Gesinnung ausmacht, anzusehen;      
  22 nicht eben um das Weltbeste als Zweck zu befördern, sondern nur      
  23 die wechselseitige, die indirect dahin führt, die Annehmlichkeit in derselben,      
  24 die Verträglichkeit, die wechselseitige Liebe und Achtung (Leutseligkeit und      
  25 Wohlanständigkeit, humanitas aesthetica et decorum ) zu cultiviren und      
  26 so der Tugend die Grazien beizugesellen; welches zu bewerkstelligen selbst      
  27 Tugendpflicht ist.      
           
  28 Dies sind zwar nur Außenwerke oder Beiwerke ( parerga ), welche      
  29 einen schönen, tugendähnlichen Schein geben, der auch nicht betrügt, weil      
  30 ein jeder weiß, wofür er ihn annehmen muß. Es ist zwar nur Scheidemünze,      
  31 befördert aber doch das Tugendgefühl selbst durch die Bestrebung,      
  32 diesen Schein der Wahrheit so nahe wie möglich zu bringen, in der Zugänglichkeit,      
  33 der Gesprächigkeit, der Höflichkeit, Gastfreiheit,      
  34 Gelindigkeit (im Widersprechen, ohne zu zanken), insgesamt als bloßen      
           
     

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