Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 482

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Nothwendigkeit, einem Gesetze derselben gemäß zu handeln? S. Sie      
  02 heißt Pflicht. L. Also ist dem Menschen die Beobachtung seiner      
  03 Pflicht die allgemeine und einzige Bedingung der Würdigkeit glücklich      
  04 zu sein, und diese ist mit jener ein und dasselbe.      
           
  05 7. L. Wenn wir uns aber auch eines solchen guten und thätigen Willens,      
  06 durch den wir uns würdig (wenigstens nicht unwürdig) halten      
  07 glücklich zu sein, auch bewußt sind, können wir darauf auch die sichere      
  08 Hoffnung gründen, dieser Glückseligkeit theilhaftig zu werden? S.      
  09 Nein! darauf allein nicht; denn es steht nicht immer in unserem Vermögen      
  10 sie uns zu verschaffen, und der Lauf der Natur richtet sich      
  11 auch nicht so von selbst nach dem Verdienst, sondern das Glück des      
  12 Lebens (unsere Wohlfahrt überhaupt) hängt von Umständen ab, die      
  13 bei weitem nicht alle in des Menschen Gewalt sind. Also bleibt      
  14 unsere Glückseligkeit immer nur ein Wunsch, ohne daß, wenn nicht      
  15 irgend eine andere Macht hinzukommt, dieser jemals Hoffnung werden      
  16 kann.      
           
  17 8. L. Hat die Vernunft wohl Gründe für sich, eine solche die Glückseligkeit      
  18 nach Verdienst und Schuld der Menschen austheilende, über die      
  19 ganze Natur gebietende und die Welt mit höchster Weisheit regierende      
  20 Macht als wirklich anzunehmen, d. i. an Gott zu glauben?      
  21 S. Ja; denn wir sehen an den Werken der Natur, die wir beurtheilen      
  22 können, so ausgebreitete und tiefe Weisheit, die wir uns nicht      
  23 anders als durch eine unaussprechlich große Kunst eines Weltschöpfers      
  24 erklären können, von welchem wir uns denn auch, was die sittliche      
  25 Ordnung betrifft, in der doch die höchste Zierde der Welt besteht,      
  26 eine nicht minder weise Regierung zu versprechen Ursache      
  27 haben: nämlich daß, wenn wir uns nicht selbst der Glückseligkeit      
  28 unwürdig machen, welches durch Übertretung unserer Pflicht geschieht,      
  29 wir auch hoffen können, ihrer theilhaftig zu werden.      
           
  30 In dieser Katechese, welche durch alle Artikel der Tugend und      
  31 des Lasters durchgeführt werden muß, ist die größte Aufmerksamkeit      
  32 darauf zu richten, daß das Pflichtgebot ja nicht auf die aus dessen      
  33 Beobachtung für den Menschen, den es verbinden soll, ja selbst auch      
  34 nicht einmal für Andere fließenden Vortheile oder Nachtheile, sondern      
  35 ganz rein auf das sittliche Princip gegründet werde, der letzteren aber      
  36 nur beiläufig, als an sich zwar entbehrlicher, aber für den Gaumen      
  37 der von Natur Schwachen zu bloßen Vehikeln dienender Zusätze, Erwähnung      
           
     

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