Kant: AA VII, Der Streit der ... , Seite 060

   
         
 

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  01 seine eigene Religion gewöhnlicher Weise vom Volk und dessen Lehrern    
  02 her hat): so kann ihre Absicht nur sein, auch durch dieses Mittel (den    
  03 Kirchenglauben) lenksame und moralisch=gute Unterthanen zu haben.    
         
  04 Zu dem Ende wird sie erstlich keinen Naturalism (Kirchenglauben    
  05 ohne Bibel ) sanctioniren, weil es bei dem gar keine dem Einfluß der    
  06 Regierung unterworfene kirchliche Form geben würde, welches der Voraussetzung    
  07 widerspricht.- Die biblische Orthodoxie würde also das sein,    
  08 woran sie die öffentliche Volkslehrer bände, in Ansehung deren diese    
  09 wiederum unter der Beurtheilung der Facultäten stehen würden, die es    
  10 angeht, weil sonst ein Pfaffenthum, d. i. eine Herrschaft der Werkleute    
  11 des Kirchenglaubens, entstehen würde, das Volk nach ihren Absichten zu    
  12 beherrschen. Aber den Orthodoxism, d. i. die Meinung von der Hinlänglichkeit    
  13 des Kirchenglaubens zur Religion, würde sie durch ihre Autorität    
  14 nicht bestätigen: weil diese die natürliche Grundsätze der Sittlichkeit    
  15 zur Nebensache macht, da sie vielmehr die Hauptstütze ist, worauf die Regierung    
  16 muß rechnen können, wenn sie in ihr Volk Vertrauen setzen soll.*)    
  17 Endlich kann sie am wenigsten den Mysticism als Meinung des Volks,    
  18 übernatürlicher Inspiration selbst theilhaftig werden zu können, zum Rang    
  19 eines öffentlichen Kirchenglaubens erheben, weil er gar nichts Öffentliches    
  20 ist und sich also dem Einfluß der Regierung gänzlich entzieht.    
         
         
    *) Was den Staat in Religionsdingen allein interessiren darf, ist: wozu die Lehrer derselben anzuhalten sind, damit er nützliche Bürger, gute Soldaten und überhaupt getreue Unterthanen habe. Wenn er nun dazu die Einschärfung der Rechtgläubigkeit in statutarischen Glaubenslehren und eben solcher Gnadenmittel wählt, so kann er hiebei sehr übel fahren. Denn da das Annehmen dieser Statute eine leichte und dem schlechtdenkendsten Menschen weit leichtere Sache ist als dem Guten, dagegen die moralische Besserung der Gesinnung viel und lange Mühe macht, er aber von der ersteren hauptsächlich seine Seligkeit zu hoffen gelehrt worden ist, so darf er sich eben kein groß Bedenken machen, seine Pflicht (doch behutsam) zu übertreten( weil er ein unfehlbares Mittel bei der Hand hat, der göttlichen Strafgerechtigkeit (nur daß er sich nicht verspäten muß) durch seinen rechten Glauben an alle Geheimnisse und inständige Benutzung der Gnadenmittel zu entgehen; dagegen, wenn jene Lehre der Kirche geradezu auf die Moralität gerichtet sein würde, das Urtheil jenes Gewissens ganz anders lauten würde: nämlich daß, so viel er von dem Bösen, was er that, nicht ersetzen kann, dafür müsse er einem künftigen Richter antworten, und dieses Schicksal abzuwenden, vermöge kein kirchliches Mittel, kein durch Angst herausgedrängter Glaube, noch ein solches Gebet ( desine fata deum flecti sperare precando ). - Bei welchem Glauben ist nun der Staat sicherer?    
         
     

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