Kant: AA VII, Der Streit der ... , Seite 068

   
         
 

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  01

Anhang biblisch=historischer Fragen

   
  02

über die praktische Benutzung und muthmaßliche Zeit der

   
  03

Fortdauer dieses heiligen Buchs.

   
         
  04 Daß es bei allem Wechsel der Meinungen noch lange Zeit im Ansehen    
  05 bleiben werde, dafür bürgt die Weisheit der Regierung, als deren    
  06 Interesse in Ansehung der Eintracht und Ruhe des Volks in einem Staat    
  07 hiemit in enger Verbindung steht. Aber ihm die Ewigkeit zu verbürgen,    
  08 oder auch es chiliastisch in ein neues Reich Gottes auf Erden übergehen    
  09 zu lassen, das übersteigt unser ganzes Vermögen der Wahrsagung.    
  10 Was würde also geschehen, wenn der Kirchenglaube dieses große Mittel    
  11 der Volksleitung einmal entbehren müßte?    
  12 Wer ist der Redacteur der biblischen Bücher (alten und neuen Testaments),    
  13 und zu welcher Zeit ist der Kanon zu Stande gekommen?    
  14 Werden philologisch=antiquarische Kenntnisse immer zur Erhaltung    
  15 der einmal angenommenen Glaubensnorm nöthig sein, oder wird die Vernunft    
  16 den Gebrauch derselben zur Religion dereinst von selbst und mit    
  17 allgemeiner Einstimmung anzuordnen im Stande sein?    
  18 Hat man hinreichende Documente der Authenticität der Bibel nach    
  19 den sogenannten 70 Dolmetschern, und von welcher Zeit kann man sie mit    
  20 Sicherheit datiren? u. s. w.    
         
  21 Die praktische, vornehmlich öffentliche Benutzung dieses Buchs in    
  22 Predigten ist ohne Zweifel diejenige, welche zur Besserung der Menschen    
  23 und Belebung ihrer moralischen Triebfedern (zur Erbauung) beiträgt.    
  24 Alle andere Absicht muß ihr nachstehen, wenn sie hiemit in Collision kommt.    
  25 - Man muß sich daher wundern: daß diese Maxime noch hat bezweifelt    
  26 werden können, und eine paraphrastische Behandlung eines Texts der    
  27 paränetischen, wenn gleich nicht vorgezogen, doch durch die erstere    
  28 wenigstens hat in Schatten gestellt werden sollen. - Nicht die Schriftgelahrtheit,    
  29 und was man vermittelst ihrer aus der Bibel durch philologische    
  30 Kenntnisse, die oft nur verunglückte Conjecturen sind, herauszieht,    
  31 sondern was man mit moralischer Denkungsart (also nach dem Geiste    
  32 Gottes) in sie hineinträgt, und Lehren, die nie trügen, auch nie ohne    
  33 heilsame Wirkung sein können, das muß diesem Vortrage ans Volk die    
         
     

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