Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 167

   
         
 

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  01 Erfahrung zu machen, dazu gehört Leben), sondern nur an andern wahrnehmen.    
  02 Ob es schmerzhaft sei, ist aus dem Röcheln oder den Zuckungen    
  03 des Sterbenden nicht zu beurtheilen; vielmehr scheint es eine blos mechanische    
  04 Reaction der Lebenskraft und vielleicht eine sanfte Empfindung des    
  05 allmählichen Freiwerdens von allem Schmerz zu sein. - Die allen Menschen,    
  06 selbst den Unglücklichsten oder auch den Weisesten, natürliche Furcht    
  07 vor dem Tod ist also nicht ein Grauen vor dem Sterben, sondern, wie    
  08 Montaigne richtig sagt, vor dem Gedanken gestorben (d. i. todt) zu    
  09 sein; denn also der Candidat des Todes nach dem Sterben noch zu haben    
  10 vermeint, indem er das Cadaver, was nicht mehr Er selbst ist, doch als    
  11 sich selbst im düstern Grabe, oder irgend sonst wo denkt. - Die Täuschung    
  12 ist hier nicht zu heben; denn sie liegt in der Natur des Denkens, als eines    
  13 Sprechens zu und von sich selbst. Der Gedanke ich bin nicht kann gar    
  14 nicht existiren; denn bin ich nicht, so kann ich mir auch nicht bewußt    
  15 werden, daß ich nicht bin. Ich kann wohl sagen: ich bin nicht gesund,    
  16 u. d. g. Prädicata von mir selbst verneinend denken (wie es bei allen    
  17 verbis geschieht); aber in der ersten Person sprechend das Subject selbst    
  18 verneinen, wobei alsdann dieses sich selbst vernichtet, ist ein Widerspruch.    
         
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Von der Einbildungskraft.

[ entsprechender Abschnitt in den Reflexionen zur Antropologie (AA XV, 121) ]    
         
  20 § 28. Die Einbildungskraft ( facultas imaginandi ), als ein Vermögen    
  21 der Anschauungen auch ohne Gegenwart des Gegenstandes, ist entweder    
  22 productiv, d. i. ein Vermögen der ursprünglichen Darstellung    
  23 des letzteren ( exhibitio originaria ), welche also vor der Erfahrung vorhergeht;    
  24 oder reproductiv, der abgeleiteten ( exhibitio derivativa ), welche    
  25 eine vorher gehabte empirische Anschauung ins Gemüth zurückbringt.    
  26 Reine Raumes= und Zeitanschauungen gehören zur erstern Darstellung;    
  27 alle übrige setzen empirische Anschauung voraus, welche, wenn sie mit    
  28 dem Begriffe vom Gegenstande verbunden und also empirisches Erkenntniß    
  29 wird, Erfahrung heißt. - Die Einbildungskraft, so fern sie auch    
  30 unwillkürlich Einbildungen hervorbringt, heißt Phantasie. Der, welcher    
  31 diese für (innere oder äußere) Erfahrungen zu halten gewohnt ist, ist    
  32 ein Phantast. - Im Schlaf (einem Zustande der Gesundheit) ein unwillkürliches    
  33 Spiel seiner Einbildungen zu sein, heißt träumen.    
         
  34 Die Einbildungskraft ist (mit andern Worten) entweder dichtend    
  35 (productiv), oder blos zurückrufend (reproductiv). Die productive aber    
         
     

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