Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 289

   
         
 

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II

   
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Temperamente der Thätigkeit.

   
         
  03

C.

   
  04

Das cholerische Temperament des Warmblütigen.

   
         
  05 Man sagt von ihm: er ist hitzig, brennt schnell auf wie Strohfeuer,    
  06 läßt sich durch Nachgeben des Anderen bald besänftigen, zürnt alsdann,    
  07 ohne zu hassen, und liebt wohl gar den noch desto mehr, der ihm bald    
  08 nachgegeben hat. - Seine Thätigkeit ist rasch, aber nicht anhaltend.    
  09 Er ist geschäftig, aber unterzieht sich selbst ungern den Geschäften, eben    
  10 darum weil er es nicht anhaltend ist, und macht also gern den bloßen    
  11 Befehlshaber, der sie leitet, aber selbst nicht ausführen will. Daher ist    
  12 seine herrschende Leidenschaft Ehrbegierde; er hat gern mit öffentlichen Geschäften    
  13 zu thun und will laut gepriesen sein. Er liebt daher den Schein    
  14 und den Pomp der Formalitäten; nimmt gerne in Schutz und ist dem    
  15 Scheine nach großmüthig, aber nicht aus Liebe, sondern aus Stolz; denn    
  16 er liebt sich mehr selbst. - Er hält auf Ordnung und scheint deshalb klüger,    
  17 als er ist. Er ist habsüchtig, um nicht filzig zu sein; ist höflich, aber    
  18 mit Ceremonie, steif und geschroben im Umgange und hat gerne irgend    
  19 einen Schmeichler, der das Stichblatt seines Witzes ist, leidet mehr Kränkungen    
  20 durch den Widerstand anderer gegen seine stolzen Anmaßungen,    
  21 als je der Geizige durch seine habsüchtigen: weil ein bischen kaustischen    
  22 Witzes ihm den Nimbus seiner Wichtigkeit ganz wegbläst, indessen daß    
  23 der Geizige doch durch den Gewinn dafür schadlos gehalten wird. -    
  24 Mit einem Wort, das cholerische Temperament ist unter allem am wenigsten    
  25 glücklich, weil es am meisten den Widerstand gegen sich aufruft.    
         
  26

D.

   
  27

Das phlegmatische Temperament des Kaltblütigen.

   
         
  28 Phlegma bedeutet Affectlosigkeit, nicht Trägheit (Leblosigkeit),    
  29 und man darf den Mann, der viel Phlegma hat, darum sofort nicht einen    
  30 Phlegmatiker oder ihn phlegmatisch nennen und ihn unter diesem Titel in    
  31 die Classe der Faullenzer setzen.    
         
  32 Phlegma, als Schwäche, ist Hang zur Unthätigkeit, sich durch selbst    
  33 starke Triebfedern zu Geschäften nicht bewegen zu lassen. Die Unempfindlichkeit    
         
     

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