Kant: AA IX, Immanuel Kant's Logik Ein ... , Seite 064

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 der Begriffe bedient sich der Mathematiker und auch der Naturphilosoph.      
  02 Denn alle Deutlichkeit des eigentlich mathematischen so wie      
  03 alles Erfahrungserkenntnisses beruht auf einer solchen Erweiterung desselben      
  04 durch Synthesis der Merkmale.      
           
  05 Wenn ich aber einen Begriff deutlich mache: so wächst durch diese      
  06 bloße Zergliederung mein Erkenntniß ganz und gar nicht dem Inhalte      
  07 nach. Dieser bleibt derselbe, nur die Form wird verändert, indem ich das,      
  08 was in dem gegebenen Begriffe schon lag, nur besser unterscheiden oder      
  09 mit klärerem Bewußtsein erkennen lerne. So wie durch die bloße Illumination      
  10 einer Karte zu ihr selbst nichts weiter hinzukommt: so wird auch      
  11 durch die bloße Aufhellung eines gegebenen Begriffs vermittelst der Analysis      
  12 seiner Merkmale dieser Begriff selbst nicht im mindesten vermehrt.      
           
  13 Zur Synthesis gehört die Deutlichmachung der Objecte, zur Analysis      
  14 die Deutlichmachung der Begriffe. Hier geht das Ganze den      
  15 Theilen, dort gehen die Theile dem Ganzen vorher. Der Philosoph      
  16 macht nur gegebene Begriffe deutlich. Zuweilen verfährt man synthetisch,      
  17 auch wenn der Begriff, den man auf diese Art deutlich machen will, schon      
  18 gegeben ist. Dieses findet oft statt bei Erfahrungssätzen, wofern man      
  19 mit den in einem gegebenen Begriffe schon gedachten Merkmalen noch      
  20 nicht zufrieden ist.      
           
  21 Das analytische Verfahren, Deutlichkeit zu erzeugen, womit sich die      
  22 Logik allein beschäftigen kann, ist das erste und hauptsächlichste Erforderni      
  23 bei der Deutlichmachung unseres Erkenntnisses. Denn je deutlicher      
  24 unser Erkenntniß von einer Sache ist: um so stärker und wirksamer kann      
  25 es auch sein. Nur muß die Analysis nicht so weit gehen, daß darüber der      
  26 Gegenstand selbst am Ende verschwindet.      
           
  27 Wären wir uns alles dessen bewußt, was wir wissen, so müßten wir      
  28 über die große Menge unserer Erkenntnisse staunen.      
           
  29 In Ansehung des objectiven Gehaltes unserer Erkenntniß überhaupt      
  30 lassen sich folgende Grade denken, nach welchen dieselbe in dieser Rücksicht      
  31 kann gesteigert werden:      
           
  32 Der erste Grad der Erkenntniß ist: sich etwas vorstellen;      
           
  33 Der zweite: sich mit Bewußtsein etwas vorstellen oder wahrnehmen      
  34 ( percipere );      
           
           
     

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