Kant: AA IX, Immanuel Kant's Logik Ein ... , Seite 131

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 treiben, daß sie alles hersagten, wo er sich hinwenden konnte und ihm dann      
  02 auch alles widerlegten. Sie zeigten ihm viele Schwierigkeiten bei jeder Meinung,      
  03 die er annahm. Aber es ist ein sophistischer Kunstgriff, Sätze nicht geradezu      
  04 zu widerlegen, sondern nur Schwierigkeiten zu zeigen; welches denn      
  05 auch bei vielen, ja bei den mehresten Dingen angeht.      
           
  06 Wenn wir nun alles das sogleich für falsch erklären wollen, wobei sich      
  07 Schwierigkeiten finden: so ist es ein leichtes Spiel, alles zu verwerfen. Zwar      
  08 ist es gut, die Unmöglichkeit des Gegentheils zu zeigen, allein hierin liegt doch      
  09 etwas Täuschendes, wofern man die Unbegreiflichkeit des Gegentheils für      
  10 die Unmöglichkeit desselben hält. Die Dilemmata haben daher vieles      
  11 Verfängliche an sich, ob sie gleich richtig schließen. Sie können gebraucht werden,      
  12 wahre Sätze zu vertheidigen, aber auch wahre Sätze anzugreifen durch Schwierigkeiten,      
  13 die man gegen sie aufwirft.      
           
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§. 80.
     
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Förmliche und versteckte Vernunftschlüsse ( ratiocinia formalia
     
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und cryptica. )
     
           
  17 Ein förmlicher Vernunftschluß ist ein solcher, der nicht nur der      
  18 Materie nach alles Erforderliche enthält, sondern auch der Form nach richtig      
  19 und vollständig ausgedrückt ist. Den förmlichen Vernunftschlüssen sind      
  20 die versteckten ( cryptica ) entgegengesetzt, zu denen alle diejenigen können      
  21 gerechnet werden, in welchen entweder die Prämissen versetzt, oder eine der      
  22 Prämissen ausgelassen, oder endlich der Mittelbegriff allein mit der Conclusion      
  23 verbunden ist. Ein versteckter Vernunftschluß von der zweiten      
  24 Art, in welchem die eine Prämisse nicht ausgedrückt, sondern nur mit gedacht      
  25 wird, heißt ein verstümmelter oder ein Enthymema. Die der      
  26 dritten Art werden zusammengezogene Schlüsse genannt.      
           
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III. Schlüsse der Urtheilskraft.

     
           
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§. 81.
     
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Bestimmende und reflectirende Urtheilskraft.
     
           
  30 Die Urtheilskraft ist zwiefach: die bestimmende oder die reflectirende      
  31 Urtheilskraft. Die erstere geht vom Allgemeinen zum Besondern,      
  32 die zweite vom Besondern zum Allgemeinen. Die letztere      
  33 hat nur subjective Gültigkeit, denn das Allgemeine, zu welchem sie vom      
           
     

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