Kant: AA IX, Immanuel Kants physische ... , Seite 166

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01

Mathematische Vorbegriffe.

     
           
  02
§. 7.
     
           
  03 Was also zuvörderst die Gestalt der Erde betrifft: so ist dieselbe beinahe      
  04 kugelähnlich, oder, wie Newton es aus den Centralgesetzen und der      
  05 Anziehung genauer bestimmt hat, eine Sphäroide, welche Behauptung      
  06 nachmals auch durch wiederholte Beobachtungen und Ausmessungen bestätigt      
  07 ist*).      
           
  08 Man stellt sich dabei aber die Figur der Erde so vor, als wäre sie      
  09 ganz vom Wasser umgeben, also eine hydrostatische Gestalt derselben.      
  10 Die Berge machen hier keinen Unterschied, da sie nicht einmal im Erdschatten      
  11 zu bemerken sind, und der höchste von ihnen kaum den 1900sten      
  12 Theil des Erddurchmessers ausmacht**). Beweise von der runden Gestalt      
  13 der Erde sind folgende:      
           
  14 1. Die Sonne geht nicht überall zu gleicher Zeit auf und unter, welches      
  15 geschehen müßte, wenn, was man geraume Zeit glaubte, die Erde eine      
  16 Ebene wäre. Hieraus würde indessen nur folgen, daß die Erde von      
  17 Morgen gegen Abend rund sei. Aber      
           
  18 2. auch die Polhöhen und Mittagshöhen sind nicht an allen Örtern dieselben.      
  19 Reisen wir um fünfzehn Meilen weiter nach Süden, so steht      
  20 der Polarstern um einen Grad niedriger und einen Grad höher,      
  21 wenn wir um eben so viel weiter nach Norden reisen, bis er uns endlich      
  22 unter dem Pole selbst in den Scheitelpunkt tritt. Daraus schließen wir      
  23 denn mit vollem Rechte auch auf eine Rundung der Erde von Norden      
  24 nach Süden.      
           
  25 3. Der Erdschatten bei Mondfinsternissen ist, und zwar in allen Lagen      
  26 der Erde, beständig rund.      
  27 4. Man erblickt selbst bei der unbegrenzten Aussicht auf offnem Meere      
  28 zuerst nur die äußersten Spitzen der Objecte und allmählig erst die      
  29 untern Theile derselben.      
           
           
    *) Vergl. Gaspari a.a.O. S. 73 u.f.      
           
    **) "Dies ist", sagt Bode, "verhältnißmäßig kaum die Dicke des Papiers, womit ein Erdglobus von einem Fuß im Durchmesser überzogen ist." Allgem. Betrachtungen über das Weltgebäude. Berl. 1801. 8. S. 5. Der Durchmesser der Erde nämlich beträgt 1720 geographische Meilen, jede, dem mittlern Umfange nach, zu 3811 8/15 Toisen. Der höchste Berg unserer Erde dagegen, der Chimborasso, hält nur eine Höhe von 3567 Pariser Fuß weniger als eine solche Meile.      
           
     

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