Kant: AA X, Briefwechsel 1787 , Seite 509

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 des Geistes nie fähig seyn, menschliche Herzen zu erwärmen? Sollten      
  02 die Weisen allein kalte Menschen seyn, die sich begnügen, ein Kleinod      
  03 zu besitzen, ohne von dem Wunsche zu glühen, die Menschheit durch      
  04 Mittheilung desselben zu beglükken, und es dadurch sich selbst genießbar      
  05 zu machen? Was wäre diß für eine traurige Erscheinung?      
           
  06 Nein, Männer der Nation! Diese Schande treffe nie Euch      
  07 und die Wahrheit!      
           
  08 In der politischen Welt ist ja überall Wirkung und Gegenwirkung,      
  09 und - in allen Kabinettern ist Gleichgewicht der erste Gegenstand      
  10 der Geschäfte und das Ziel aller Operationen! so - müsse es      
  11 auch in der moralischen Welt seyn!      
           
  12 Wenn der große Haufe unserer Antipoden mit vereinigten Kräften      
  13 gemeinschaftlich für die Unterjochung der Vernunft und Verhinderung      
  14 der Aufklärung wirkt, so wäre es scheusliche Trägheit und Kälte, wenn      
  15 unter uns nicht endlich auch eine Verbindung statt finden sollte, welche      
  16 fähig wäre, eine Gegenwirkung hervorzubringen und - wo nicht Sieg,      
  17 doch wenigstens Gleichgewicht zu erringen - damit die Menschheit      
  18 nicht von neuem zur Barbarei herabsinke und, durch Uebermacht des      
  19 Glaubenszwanges, die Vernunft mit der Tugend unterjocht werde.      
           
  20 Vernehmet demnach, Freunde des Guten! wie eine solche Verbindung      
  21 möglich werden kan, sobald ihr wollt, d. h. sobald ihr das Gute      
  22 allein wollet und - dem Eigenwillen, der Neugier, und der Selbstsucht      
  23 mit Entschlossenheit entsagt, und euch an der Freude, zur Beförderung      
  24 des Wols der Menschheit im Stillen mitzuwirken, begnüget.      
           
  25 Eine Geselschaft von 22, theils Staatsmännern, theils öffentlichen      
  26 Lehrern, theils Privatpersonen, hat sich bereits über einen seit anderthalb      
  27 Iahren in Vorschlag gebrachten Plan vereinigt, welcher ihrem Bedünken      
  28 nach ein untrügliches und durch keine menschliche Macht zu hinderndes      
  29 Mittel enthält, die Aufklärung und Bildung der Menschheit zu befördern,      
  30 und alle bisherigen Hindernisse derselben nach und nach zu zerstören      
  31 über einen Plan, der außer diesem wichtigen Guten noch ein besonders      
  32 wohlthätiges Institut zu Stande bringt, wodurch jedem verdienstvollen      
  33 Manne die angenehmste und ruhigste Lage verschaft werden kan.      
           
  34 Wer nun für das Beste der Menschheit sich erwärmt fühlt und      
  35 diesen Plan zu kennen und, wenn er ihn gut findet, an dessen Ausführung      
  36 nahen oder fernen Antheil zu nehmen wünscht, hat nichts weiter      
  37 nöthig, als in einem Schreiben, (welches er an denjenigen abgiebt,      
           
     

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