Kant: AA II, Die falsche Spitzfindigkeit der ... , Seite 060

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Logisch unterscheiden, heißt erkennen, daß ein Ding A nicht B sei, und      
  02 ist jederzeit ein verneinendes Urtheil, physisch unterscheiden, heißt,      
  03 durch verschiedene Vorstellungen zu verschiedenen Handlungen getrieben      
  04 werden. Der Hund unterscheidet den Braten vom Brote, weil er anders      
  05 vom Braten, als vom Brote gerührt wird (denn verschiedene Dinge verursachen      
  06 verschiedne Empfindungen), und die Empfindungen vom erstern      
  07 ist ein Grund einer andern Begierde in ihm als die vom letztern,*)      
  08 der natürlichen Verknüpfung seiner Triebe mit seinen Vorstellungen. Man      
  09 kann hieraus die Veranlassung ziehen, dem wesentlichen Unterschiede der      
  10 vernünftigen und vernunftlosen Thiere besser nachuudenken. Wenn man      
  11 einzusehen vermag, was denn dasjenige für eine geheime Kraft sei, wodurch      
  12 das Urtheilen möglich wird, so wird man den Knoten auflösen.      
  13 Meine jetzige Meinung geht dahin, daß diese Kraft oder Fähigkeit nichts      
  14 anders sei als das Vermögen des innern Sinnes, d. i. seine eigene Vorstellungen      
  15 zum Objecte seiner Gedanken zu machen. Dieses Vermögen ist      
  16 nicht aus einem andern abzuleiten, es ist ein Grundvermögen im eigentlichen      
  17 Verstande und kann, wie ich dafür halte, blos vernünftigen Wesen      
  18 eigen sein. Auf demselben aber beruht die ganze obere Erkenntnißkraft.      
  19 Ich schließe mit einer Vorstellung, die denjenigen angenehm sein muß,      
  20 welche das Vergnügen über die Einheit in dem menschlichen Erkenntnisse      
  21 empfinden können. Alle bejahende Urtheile stehen unter einer gemeinschaftlichen      
  22 Formel, dem Satze der Einstimmung: Cuilibet subjecto competit      
  23 praedicatum ipsi identicum ; alle verneinende unter dem Satze des Widerspruchs:      
  24 Nulli subjecto competit praedicatum ipsi oppositum . Alle bejahende      
  25 Vernunftschlüsse sind unter der Regel enthalten: Nota notae est      
  26 nota rei ipsius ; alle verneinende unter dieser: Oppositum notae opponitur      
  27 rei ipsi . Alle Urtheile, die unmittelbar unter den Sätzen der Einstimmung      
  28 oder des Widerspruchs stehen, das ist, bei denen weder die Identität noch      
  29 der Widerstreit durch ein Zwischenmerkmal (mithin nicht vermittelst der      
  30 Zergliederung der Begriffe), sondern unmittelbar eingesehen wird, sind      
           
    *) Es ist in der That von der äußersten Erheblichkeit, bei der Untersuchung der thierischen Natur hierauf acht zu haben. Wir werden an ihnen lediglich äußere Handlungen gewahr, deren Verschiedenheit unterschiedliche Bestimmungen ihrer Begierde anzeigt. Ob in ihrem Innern diejenige Handlung der Erkenntnißkraft vorgeht, da sie sich der Übereinstimmung oder des Widerstreits desjenigen, was in einer Empfindung ist, mit dem, was in einer andern befindlich ist, bewußt sind und also urtheilen, das folgt gar nicht daraus.      
           
     

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