Kant: AA II, Der einzig mögliche ... , Seite 108

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 derselben unter Gott zu betrachten. Dagegen da auch manche Vollkommenheiten      
  02 in einem Ganzen nicht durch die Fruchtbarkeit eines einzigen      
  03 Grundes möglich sind, sondern verschiedene willkürlich zu dieser Absicht      
  04 vereinbarte Gründe erheischen, so wird wiederum manche künstliche Anordnung      
  05 die Ursache eines Gesetzes sein, und die Wirkungen, die darnach      
  06 geschehen, stehen unter der zufälligen und künstlichen Ordnung der Natur,      
  07 vermittelst ihrer aber unter Gott.      
           
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Vierte Betrachtung.

     
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Gebrauch unseres Beweisgrundes in Beurtheilung der Vollkommenheit

     
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einer Welt nach dem Laufe der Natur.

     
           
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1.
     
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Was aus unserm Beweisgrunde zum Vorzuge der Ordnung
     
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der Natur vor dem Übernatürlichen kann geschlossen
     
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werden.
     
           
  15 Es ist eine bekannte Regel der Weltweisen oder vielmehr der gesunden      
  16 Vernunft überhaupt: daß man ohne die erheblichste Ursache nichts für ein      
  17 Wunder, oder eine übernatürliche Begebenheit halten solle. Diese Regel      
  18 enthält erstlich, daß Wunder selten seien, zweitens, daß die gesammte      
  19 Vollkommenheit des Universum auch ohne viele übernatürliche Einflüsse      
  20 dem göttlichen Willen gemäß nach den Gesetzen der Natur erreicht werde;      
  21 denn jedermann erkennt: daß, wenn ohne häufige Wunder die Welt des      
  22 Zwecks ihres Daseins verfehlte, übernatürliche Begebenheiten etwas Gewöhnliches      
  23 sein müßten. Einige stehen in der Meinung, daß das Formale      
  24 der natürlichen Verknüpfung der Folgen mit ihren Gründen an sich selbst      
  25 eine Vollkommenheit wäre, welcher allenfalls ein besserer Erfolg, wenn      
  26 er nicht anders als übernatürlicher Weise zu erhalten stände, hintangesetzt      
  27 werden müßte. Sie setzen in dem Natürlichen als einem solchen unmittelbar      
  28 einen Vorzug, weil ihnen alles Übernatürliche als eine Unterbrechung      
  29 einer Ordnung an sich selber scheint einen Übelstand zu erregen. Allein      
  30 diese Schwierigkeit ist nur eingebildet. Das Gute steckt nur in Erreichung      
  31 des Zweckes und wird den Mitteln nur um seinetwillen zugeeignet. Die      
  32 natürliche Ordnung, wenn nach ihr nicht vollkommene Folgen entspringen,      
  33 hat unmittelbar keinen Grund eines Vorzugs in sich, weil sie nur nach      
           
     

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