Kant: AA II, Der einzig mögliche ... , Seite 109

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 der Art eines Mittels kann betrachtet werden, welches keine eigene, sondern      
  02 nur eine von der Größe des dadurch erreichten Zwecks entlehnte Schätzung      
  03 verstattet. Die Vorstellung der Mühsamkeit, welche die Menschen bei      
  04 ihren unmittelbaren Ausübungen empfinden, mengt sich hier ingeheim      
  05 mit unter und giebt demjenigen, was man fremden Kräften anvertrauen      
  06 kann, einen Vorzug, selbst da wo in dem Erfolg etwas von dem abgezweckten      
  07 Nutzen vermißt würde. Indessen wenn ohne größere Beschwerde      
  08 der, so das Holz an einer Schneidemühle anlegt, es eben so wohl unmittelbar      
  09 in Bretter verwandeln könnte, so wäre alle Kunst dieser Maschine nur      
  10 ein Spielwerk, weil der ganze Werth derselben nur an ihr als einem Mittel      
  11 zu diesem Zwecke stattfinden kann. Demnach ist etwas nicht darum gut,      
  12 weil es nach dem Laufe der Natur geschieht, sondern der Lauf der Natur      
  13 ist gut, in so fern das, was daraus fließt, gut ist. Und da Gott eine Welt      
  14 in seinem Rathschlusse begriff, in der alles mehrentheils durch einen natürlichen      
  15 Zusammenhang die Regel des Besten erfüllte: so würdigte er sie      
  16 seiner Wahl, nicht weil darin, daß es natürlich zusammenhing, das Gute      
  17 bestand, sondern weil durch diesen natürlichen Zusammenhang ohne viele      
  18 Wunder die vollkommenen Zwecke am richtigsten erreicht wurden.      
           
  19 Und nun entsteht die Frage: wie mag es zugehen, daß die allgemeine      
  20 Gesetze der Natur dem Willen des Höchsten in dem Verlauf der Begebenheiten      
  21 der Welt, die nach ihnen geschehen, so schön entsprechen, und welchen      
  22 Grund hat man ihnen diese Schicklichkeit zuzutrauen, daß man nicht öfter,      
  23 als man wahrnimmt, geheime übernatürliche Vorkehrungen zugeben      
  24 müßte, die ihren Gebrechen unaufhörlich zu Hülfe kämen?*) Hier leistet      
  25 uns unser Begriff von der Abhängigkeit selbst der Wesen aller Dinge von      
  26 Gott einen noch ausgebreitetern Nutzen, als der ist, den man in dieser Frage      
  27 erwartet. Die Dinge der Natur tragen sogar in den nothwendigsten Bestimmungen      
  28 ihrer innern Möglichkeit das Merkmal der Abhängigkeit von      
           
    *) Diese Frage ist dadurch noch lange nicht genugsam beantwortet, wenn man sich auf die weise Wahl Gottes beruft, die den Lauf der Natur einmal schon so wohl eingerichtet hätte, daß öftere Ausbesserungen unnöthig waren. Denn die größte Schwierigkeit besteht darin, wie es auch nur hat möglich sein können in einer Verbindung der Weltbegebenheiten nach allgemeinen Gesetzen so große Vollkommenheit zu vereinbaren, vornehmlich wenn man die Menge der Naturdinge und die unermeßlich lange Reihe ihrer Veränderungen betrachtet, wie da nach allgemeinen Regeln ihrer gegenseitigen Wirksamkeit eine Harmonie hat entspringen können, die keiner öftern übernatürlichen Einflüsse bedürfe.      
           
     

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