Kant: AA II, Träume eines Geistersehers, ... , Seite 343

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 selbst ausgeheckte Bilder sind, die gleichwohl als wahre Gegenstände die      
  02 Sinne betrügen; allein wenn man sich einbildet, daß beide Täuschungen      
  03 übrigens in ihrer Entstehungsart sich ähnlich gnug wären, um die Quelle      
  04 der einen auch zur Erklärung der andern zureichend zu finden, so betrügt      
  05 man sich sehr. Derjenige, der im Wachen sich in Erdichtungen und Chimären,      
  06 welche seine stets fruchtbare Einbildung ausheckt, dermaßen vertieft,      
  07 daß er auf die Empfindung der Sinne wenig Acht hat, die ihm jetzt am meisten      
  08 angelegen sind, wird mit Recht ein wachender Träumer genannt.      
  09 Denn es dürfen nur die Empfindungen der Sinne noch etwas mehr in      
  10 ihrer Stärke nachlassen, so wird er schlafen, und die vorige Chimären      
  11 werden wahre Träume sein. Die Ursache, weswegen sie es nicht schon im      
  12 Wachen sind, ist diese, weil er sie zu der Zeit als in sich, andere Gegenstände      
  13 aber, die er empfindet, als außer sich vorstellt, folglich jene zu      
  14 Wirkungen seiner eignen Thätigkeit, diese aber zu demjenigen zählt, was      
  15 er von außen empfängt und erleidet. Denn hiebei kommt es alles auf      
  16 das Verhältniß an, darin die Gegenstände auf ihn selbst als einen Menschen,      
  17 folglich auch auf seinen Körper gedacht werden. Daher können die      
  18 nämliche Bilder ihn im Wachen wohl sehr beschäftigen, aber nicht betrügen,      
  19 so klar sie auch sein mögen. Denn ob er gleich alsdann eine Vorstellung      
  20 von sich selbst und seinem Körper auch im Gehirne hat, gegen die      
  21 er seine phantastische Bilder in Verhältniß setzt, so macht doch die wirkliche      
  22 Empfindung seines Körpers durch äußere Sinne gegen jene Chimären      
  23 einen Contrast oder Abstechung, um jene als von sich ausgeheckt,      
  24 diese aber als empfunden anzusehen. Schlummert er hiebei ein, so erlischt      
  25 die empfundene Vorstellung seines Körpers, und es bleibt bloß die      
  26 selbstgedichtete übrig, gegen welche die andre Chimären als in äußerem      
  27 Verhältniß gedacht werden und auch, so lange man schläft, den Träumenden      
  28 betrügen müssen, weil keine Empfindung da ist, die in Vergleichung      
  29 mit jener das Urbild vom Schattenbilde, nämlich das Äußere vom Innern,      
  30 unterscheiden ließe.      
           
  31 Von wachenden Träumern sind demnach die Geisterseher nicht bloß      
  32 dem Grade, sondern der Art nach gänzlich unterschieden. Denn diese referiren      
  33 im Wachen und oft bei der größten Lebhaftigkeit anderer Empfindungen      
  34 gewisse Gegenstände unter die äußerliche Stellen der andern      
  35 Dinge, die sie wirklich um sich wahrnehmen, und die Frage ist hier nur,      
  36 wie es zugehe, daß sie das Blendwerk ihrer Einbildung außer sich versetzen      
  37 und zwar in Verhältniß auf ihren Körper, den sie auch durch äußere      
           
     

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