Kant: AA V, Kritik der praktischen ... , Seite 108

     
           
 

Zeile:

 

Text (Kant):

 

 

 

 
  01 gemäß fortzusetzen, wir durch bestimmte Vorschriften nunmehr angewiesen      
  02 werden können.      
           
  03 Wie im speculativen Gebrauche der reinen Vernunft jene natürliche      
  04 Dialektik aufzulösen und der Irrthum aus einem übrigens natürlichen      
  05 Scheine zu Verhüten sei, kann man in der Kritik jenes Vermögens ausführlich      
  06 antreffen. Aber der Vernunft in ihrem praktischen Gebrauche      
  07 geht es um nichts besser. Sie sucht als reine praktische Vernunft zu dem      
  08 praktisch Bedingten (was auf Neigungen und Naturbedürfniß beruht)      
  09 ebenfalls das Unbedingte, und zwar nicht als Bestimmungsgrund des      
  10 Willens, sondern, wenn dieser auch (im moralischen Gesetze) gegeben worden,      
  11 die unbedingte Totalität des Gegenstandes der reinen praktischen      
  12 Vernunft, unter dem Namen des höchsten Guts.      
           
  13 Diese Idee praktisch, d. i. für die Maxime unseres vernünftigen Verhaltens,      
  14 hinreichend zu bestimmen, ist die Weisheitslehre, und diese      
  15 wiederum als Wissenschaft ist Philosophie in der Bedeutung, wie      
  16 die Alten das Wort verstanden, bei denen sie eine Anweisung zu dem Begriffe      
  17 war, worin das höchste Gut zu setzen, und zum Verhalten, durch      
  18 welches es zu erwerben sei. Es wäre gut, wenn wir dieses Wort bei seiner      
  19 alten Bedeutung ließen, als eine Lehre vom höchsten Gut, so fern die      
  20 Vernunft bestrebt ist, es darin zur Wissenschaft zu bringen. Denn      
  21 einestheils würde die angehängte einschränkende Bedingung dem griechischen      
  22 Ausdrucke (welcher Liebe zur Weisheit bedeutet) angemessen und      
  23 doch zugleich hinreichend sein, die Liebe zur Wissenschaft, mithin aller      
  24 speculativen Erkenntniß der Vernunft, so fern sie ihr sowohl zu jenem Begriffe,      
  25 als auch dem praktischen Bestimmungsgrunde dienlich ist, unter      
  26 dem Namen der Philosophie mit zu befassen, und doch den Hauptzweck,      
  27 um dessentwillen sie allein Weisheitslehre genannt werden kann, nicht aus      
  28 den Augen verlieren lassen. Anderen Theils würde es auch nicht übel      
  29 sein, den Eigendünkel desjenigen, der es wagte sich des Titels eines Philosophen      
  30 selbst anzumaßen, abzuschrecken, wenn man ihm schon durch die      
  31 Definition den Maßstab der Selbstschätzung vorhielte, der seine Ansprüche      
  32 sehr herabstimmen wird; denn ein Weisheitslehrer zu sein, möchte wohl      
  33 etwas mehr als einen Schüler bedeuten, der noch immer nicht weit genug      
  34 gekommen ist, um sich selbst, vielweniger um andere mit sicherer Erwartung      
  35 eines so hohen Zwecks zu leiten; es würde einen Meister in      
  36 Kenntniß der Weisheit bedeuten, welches mehr sagen will, als ein bescheidener      
  37 Mann sich selber anmaßen wird, und Philosophie würde so wie      
           
     

[ Seite 107 ] [ Seite 109 ] [ Inhaltsverzeichnis ]