Kant: AA V, Kritik der praktischen ... , Seite 109

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 die Weisheit selbst noch immer ein Ideal bleiben, welches objectiv in der      
  02 Vernunft allein vollständig vorgestellt wird, subjectiv aber, für die Person,      
  03 nur das Ziel seiner unaufhörlichen Bestrebung ist, und in dessen Besitz      
  04 unter dem angemaßten Namen eines Philosophen zu sein, nur der vorzugeben      
  05 berechtigt ist, der auch die unfehlbare Wirkung derselben (in Beherrschung      
  06 seiner selbst und dem ungezweifelten Interesse, das er vorzüglich      
  07 am allgemeinen Guten nimmt) an seiner Person als Beispiele aufstellen      
  08 kann, welches die Alten auch forderten, um jenen Ehrennamen      
  09 verdienen zu können.      
           
  10 In Ansehung der Dialektik der reinen praktischen Vernunft, im      
  11 Punkte der Bestimmung des Begriffs vom höchsten Gute (welche, wenn      
  12 ihre Auflösung gelingt, eben sowohl als die der theoretischen die wohlthätigste      
  13 Wirkung erwarten läßt, dadurch daß die aufrichtig angestellte      
  14 und nicht verhehlte Widersprüche der reinen praktischen Vernunft mit ihr      
  15 selbst zur vollständigen Kritik ihres eigenen Vermögens nöthigen), haben      
  16 wir nur noch eine Erinnerung voranzuschicken.      
           
  17 Das moralische Gesetz ist der alleinige Bestimmungsgrund des reinen      
  18 Willens. Da dieses aber blos formal ist (nämlich allein die Form der      
  19 Maxime als allgemein gesetzgebend fordert), so abstrahirt es als Bestimmungsgrund      
  20 von aller Materie, mithin von allem Objecte des Wollens.      
  21 Mithin mag das höchste Gut immer der ganze Gegenstand einer reinen      
  22 praktischen Vernunft, d. i. eines reinen Willens, sein, so ist es darum doch      
  23 nicht für den Bestimmungsgrund desselben zu halten, und das moralische      
  24 Gesetz muß allein als der Grund angesehen werden, jenes und dessen      
  25 Bewirkung oder Beförderung sich zum Objecte zu machen. Diese Erinnerung      
  26 ist in einem so delicaten Falle, als die Bestimmung sittlicher      
  27 Principien ist, wo auch die kleinste Mißdeutung Gesinnungen verfälscht,      
  28 von Erheblichkeit. Denn man wird aus der Analytik ersehen haben, daß,      
  29 wenn man vor dem moralischen Gesetze irgend ein Object unter dem Namen      
  30 eines Guten als Bestimmungsgrund des Willens annimmt und von      
  31 ihm dann das oberste praktische Princip ableitet, dieses alsdann jederzeit      
  32 Heteronomie herbeibringen und das moralische Princip verdrängen      
  33 würde.      
           
  34 Es versteht sich aber von selbst, daß, wenn im Begriffe des höchsten      
  35 Guts das moralische Gesetz als oberste Bedingung schon mit eingeschlossen      
  36 ist, alsdann das höchste Gut nicht blos Object, sondern auch sein Begriff      
  37 und die Vorstellung der durch unsere praktische Vernunft möglichen Existenz      
           
     

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