Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 229

     
           
 

Zeile:

 

Text (Kant):

 

 

 

 
  01 doch nicht als Vermögen der Erkenntniß eines Gegenstandes, sondern als      
  02 Vermögen der Bestimmung des Urtheils und seiner Vorstellung (ohne      
  03 Begriff) nach dem Verhältniß derselben auf das Subject und dessen      
  04 inneres Gefühl, und zwar sofern dieses Urtheil nach einer allgemeinen      
  05 Regel möglich ist.      
           
  06

§ 16.

     
  07

Das Geschmacksurtheil, wodurch ein Gegenstand unter der

     
  08

Bedingung eines bestimmten Begriffs für schön erklärt wird,

     
  09

ist nicht rein.

     
           
  10 Es giebt zweierlei Arten von Schönheit: freie Schönheit ( pulchritudo      
  11 vaga ), oder die bloß anhängende Schönheit ( pulchritudo adhaerens ). Die      
  12 erstere setzt keinen Begriff von dem voraus, was der Gegenstand sein soll;      
  13 die zweite setzt einen solchen und die Vollkommenheit des Gegenstandes      
  14 nach demselben voraus. Die Arten der erstern heißen (für sich bestehende)      
  15 Schönheiten dieses oder jenes Dinges; die andere wird, als einem Begriffe      
  16 anhängend (bedingte Schönheit), Objecten, die unter dem Begriffe eines      
  17 besondern Zwecks stehen, beigelegt.      
           
  18 Blumen sind freie Naturschönheiten. Was eine Blume für ein Ding      
  19 sein soll, weiß außer dem Botaniker schwerlich sonst jemand; und selbst      
  20 dieser, der daran das Befruchtungsorgan der Pflanze erkennt, nimmt, wenn      
  21 er darüber durch Geschmack urtheilt, auf diesen Naturzweck keine Rücksicht.      
  22 Es wird also keine Vollkommenheit von irgend einer Art, keine innere      
  23 Zweckmäßigkeit, auf welche sich die Zusammensetzung des Mannigfaltigen      
  24 beziehe, diesem Urtheile zum Grunde gelegt. Viele Vögel (der Papagei,      
  25 der Colibrit, der Paradiesvogel), eine Menge Schalthiere des Meeres sind      
  26 für sich Schönheiten, die gar keinem nach Begriffen in Ansehung seines      
  27 Zwecks bestimmten Gegenstande zukommen, sondern frei und für sich gefallen.      
  28 So bedeuten die Zeichnungen a la grecque , das Laubwerk zu Einfassungen      
  29 oder auf Papiertapeten u. s. w. für sich nichts: sie stellen nichts      
  30 vor, kein Object unter einem bestimmten Begriffe, und sind freie Schönheiten.      
  31 Man kann auch das, was man in der Musik Phantasieen (ohne      
  32 Thema) nennt, ja die ganze Musik ohne Text zu derselben Art zählen.      
  33 In der Beurtheilung einer freien Schönheit (der bloßen Form nach)      
  34 ist das Geschmacksurtheil rein. Es ist kein Begriff von irgend einem      
  35 Zwecke, wozu das Mannigfaltige dem gegebenen Objecte dienen und was      
           
     

[ Seite 228 ] [ Seite 230 ] [ Inhaltsverzeichnis ]