Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 230

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 dieses also vorstellen solle, vorausgesetzt, wodurch die Freiheit der Einbildungskraft,      
  02 die in Beobachtung der Gestalt gleichsam spielt, nur eingeschränkt      
  03 werden würde.      
           
  04 Allein die Schönheit eines Menschen (und unter dieser Art die eines      
  05 Mannes oder Weibes oder Kindes), die Schönheit eines Pferdes, eines      
  06 Gebäudes (als Kirche, Palast, Arsenal oder Gartenhaus) setzt einen Begriff      
  07 vom Zwecke voraus, welcher bestimmt, was das Ding sein soll, mithin      
  08 einen Begriff seiner Vollkommenheit, und ist also bloß adhärirende      
  09 Schönheit. So wie nun die Verbindung des Angenehmen (der Empfindung)      
  10 mit der Schönheit, die eigentlich nur die Form betrifft, die Reinigkeit      
  11 des Geschmacksurtheils verhinderte: so thut die Verbindung des Guten      
  12 (wozu nämlich das Mannigfaltige dem Dinge selbst nach seinem Zwecke      
  13 gut ist) mit der Schönheit der Reinigkeit desselben Abbruch.      
           
  14 Man würde vieles unmittelbar in der Anschauung Gefallende an      
  15 einem Gebäude anbringen können, wenn es nur nicht eine Kirche sein sollte;      
  16 eine Gestalt mit allerlei Schnörkeln und leichten, doch regelmäßigen Zügen,      
  17 Wie die Neuseeländer mit ihrem Tettowiren thun, verschönern können,      
  18 wenn es nur nicht ein Mensch wäre; und dieser könnte viel feinere Züge      
  19 und einen gefälligeren, sanftern Umriß der Gesichtsbildung haben, wenn      
  20 er nur nicht einen Mann, oder gar einen kriegerischen vorstellen sollte.      
           
  21 Nun ist das Wohlgefallen an dem Mannigfaltigen in einem Dinge      
  22 in Beziehung auf den innern Zweck, der seine Möglichkeit bestimmt, ein      
  23 auf einem Begriffe gegründetes Wohlgefallen; das an der Schönheit aber      
  24 ist ein solches, welches keinen Begriff voraussetzt, sondern mit der Vorstellung,      
  25 wodurch der Gegenstand gegeben (nicht wodurch er gedacht) wird,      
  26 unmittelbar verbunden ist. Wenn nun das Geschmacksurtheil in Ansehung      
  27 des letzteren vom Zwecke in dem ersteren, als Vernunfturtheile abhängig      
  28 gemacht und dadurch eingeschränkt wird, so ist jenes nicht mehr ein freies      
  29 und reines Geschmacksurtheil.      
           
  30 Zwar gewinnt der Geschmack durch diese Verbindung des ästhetischen      
  31 Wohlgefallens mit dem intellectuellen darin, daß er fixirt wird und zwar      
  32 nicht allgemein ist, ihm aber doch in Ansehung gewisser zweckmäßig bestimmten      
  33 Objecte Regeln vorgeschrieben werden können. Diese sind aber      
  34 alsdann auch keine Regeln des Geschmacks, sondern bloß der Vereinbarung      
  35 des Geschmacks mit der Vernunft, d. i. des Schönen mit dem Guten, durch      
  36 welche jenes zum Instrument der Absicht in Ansehung des letztern brauchbar      
  37 wird, um diejenige Gemüthsstimmung, die sich selbst erhält und von      
           
     

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