Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 409

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 in der That folgen, wenn wir materielle Wesen als Dinge an sich selbst      
  02 anzusehen berechtigt wären. Denn alsdann würde die Einheit, welche den      
  03 Grund der Möglichkeit der Naturbildungen ausmacht, lediglich die Einheit      
  04 des Raums sein, welcher aber kein Realgrund der Erzeugungen, sondern      
  05 nur die formale Bedingung derselben ist; obwohl er mit dem Realgrunde,      
  06 welchen wir suchen, darin einige Ähnlichkeit hat, daß in ihm kein      
  07 Theil ohne in Verhältniß auf das Ganze (dessen Vorstellung also der      
  08 Möglichkeit der Theile zum Grunde liegt) bestimmt werden kann. Da es      
  09 aber doch wenigstens möglich ist, die materielle Welt als bloße Erscheinung      
  10 zu betrachten und etwas als Ding an sich selbst (welches nicht Erscheinung      
  11 ist), als Substrat, zu denken, diesem aber eine correspondirende      
  12 intellectuelle Anschauung (wenn sie gleich nicht die unsrige ist) unterzulegen:      
  13 so würde ein, obzwar für uns unerkennbarer, übersinnlicher Realgrund      
  14 für die Natur Statt finden, zu der wir selbst mitgehören, in welcher      
  15 wir also das, was in ihr als Gegenstand der Sinne nothwendig ist,      
  16 nach mechanischen Gesetzen, die Zusammenstimmung und Einheit aber      
  17 der besonderen Gesetze und der Formen nach denselben, die wir in Ansehung      
  18 jener als zufällig beurtheilen müssen, in ihr als Gegenstande der      
  19 Vernunft (ja das Naturganze als System) zugleich nach teleologischen      
  20 Gesetzen betrachten und sie nach zweierlei Principien beurtheilen würden,      
  21 ohne daß die mechanische Erklärungsart durch die teleologische, als ob sie      
  22 einander widersprächen, ausgeschlossen wird.      
           
  23 Hieraus läßt sich auch das, was man sonst zwar leicht vermuthen,      
  24 aber schwerlich mit Gewißheit behaupten und beweisen konnte, einsehen,      
  25 daß zwar das Princip einer mechanischen Ableitung zweckmäßiger Naturproducte      
  26 neben dem teleologischen bestehen, dieses letztere aber keinesweges      
  27 entbehrlich machen könnte: d. i. man kann an einem Dinge, welches wir      
  28 als Naturzweck beurtheilen müssen (einem organisirten Wesen), zwar alle      
  29 bekannte und noch zu entdeckende Gesetze der mechanischen Erzeugung versuchen      
  30 und auch hoffen dürfen damit guten Fortgang zu haben, niemals      
  31 aber der Berufung auf einen davon ganz unterschiedenen Erzeugungsgrund,      
  32 nämlich der Causalität durch Zwecke, für die Möglichkeit eines      
  33 solchen Products überhoben sein; und schlechterdings kann keine menschliche      
  34 Vernunft (auch keine endliche, die der Qualität nach der unsrigen      
  35 ähnlich wäre, sie aber dem Grade nach noch so sehr überstiege) die Erzeugung      
  36 auch nur eines Gräschens aus bloß mechanischen Ursachen zu verstehen      
  37 hoffen. Denn wenn die teleologische Verknüpfung der Ursachen und      
           
     

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