Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 458

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 auch dem Objecte die einzige Art der Möglichkeit zukomme, die unserm      
  02 Vermögen zu denken zukommt), sondern ein bloß regulatives Princip      
  03 für die reflectirende Urtheilskraft ist.      
           
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Anmerkung.
     
           
  05 Dieser moralische Beweis ist nicht etwa ein neu erfundener, sondern      
  06 allenfalls nur ein neu erörterter Beweisgrund; denn er hat vor der frühesten      
  07 Aufkeimung des menschlichen Vernunftvermögens schon in demselben      
  08 gelegen und wird mit der fortgehenden Cultur desselben nur immer mehr      
  09 entwickelt. Sobald die Menschen über Recht und Unrecht zu reflectiren      
  10 anfingen, in einer Zeit, wo sie über die Zweckmäßigkeit der Natur noch      
  11 gleichgültig wegsahen, sie nützten, ohne sich dabei etwas Anderes als den      
  12 gewohnten Lauf der Natur zu denken, mußte sich das Urtheil unvermeidlich      
  13 einfinden: daß es im Ausgange nimmermehr einerlei sein könne, ob      
  14 ein Mensch sich redlich oder falsch, billig oder gewaltthätig verhalten habe,      
  15 wenn er gleich bis an sein Lebensende, wenigstens sichtbarlich, für seine      
  16 Tugenden kein Glück, oder für seine Verbrechen keine Strafe angetroffen      
  17 habe. Es ist: als ob sie in sich eine Stimme wahrnähmen, es müsse anders      
  18 zugehen; mithin mußte auch die, obgleich dunkle, Vorstellung von      
  19 Etwas, dem sie nachuustreben sich verbunden fühlten, verborgen liegen,      
  20 womit ein solcher Ausschlag sich gar nicht zusammenreimen lasse, oder womit,      
  21 wenn sie den Weltlauf einmal als die einzige Ordnung der Dinge      
  22 ansahen, sie wiederum jene innere Zweckbestimmung ihres Gemüths nicht      
  23 zu vereinigen wußten. Nun mochten sie die Art, wie eine solche Unregelmäßigkeit      
  24 (welche dem menschlichen Gemüthe weit empörender sein muß,      
  25 als der blinde Zufall, den man etwa der Naturbeurtheilung zum Princip      
  26 unterlegen wollte) ausgeglichen werden könne, sich auf mancherlei noch so      
  27 grobe Weise vorstellen; so konnten sie sich doch niemals ein anderes Princip      
  28 der Möglichkeit der Vereinigung der Natur mit ihrem inneren Sittengesetze      
  29 erdenken, als eine nach moralischen Gesetzen die Welt beherrschende      
  30 oberste Ursache: weil ein als Pflicht aufgegebener Endzweck in ihnen und      
  31 eine Natur ohne allen Endzweck außer ihnen, in welcher gleichwohl jener      
  32 Zweck wirklich werden soll, im Widerspruche stehen. Über die innere Beschaffenheit      
  33 jener Weltursache konnten sie nun manchen Unsinn ausbrüten;      
  34 jenes moralische Verhältniß in der Weltregierung blieb immer dasselbe,      
  35 welches für die unangebauteste Vernunft, sofern sie sich als praktisch betrachtet,      
  36 allgemein faßlich ist, mit welcher hingegen die speculative bei      
           
     

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