Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 100

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Menschen aber als Priester, welche seine Befehle unmittelbar von ihm      
  02 empfangen, eine aristokratische Regierung führten. Aber eine solche      
  03 Verfassung, deren Existenz und Form gänzlich auf historischen Gründen      
  04 beruht, ist nicht diejenige, welche die Aufgabe der reinen moralisch=gesetzgebenden      
  05 Vernunft ausmacht, deren Auflösung wir hier allein zu bewirken      
  06 haben; sie wird in der historischen Abtheilung als Anstalt nach politisch      
  07 bürgerlichen Gesetzen, deren Gesetzgeber, obgleich Gott, doch äußerlich ist,      
  08 in Erwägung kommen, anstatt daß wir hier es nur mit einer solchen, deren      
  09 Gesetzgebung bloß innerlich ist, einer Republik unter Tugendgesetzen, d. i.      
  10 mit einem Volke Gottes, "das fleißig wäre zu guten Werken", zu thun      
  11 haben.      
           
  12 Einem solchen Volke Gottes kann man die Idee einer Rotte des      
  13 bösen Princips entgegensetzen, als Vereinigung derer, die seines Theils      
  14 sind, zur Ausbreitung des Bösen, welchem daran gelegen ist, jene Vereinigung      
  15 nicht zu Stande kommen zu lassen; wiewohl auch hier das die      
  16 Tugendgesinnungen anfechtende Princip gleichfalls in uns selbst liegt und      
  17 nur bildlich als äußere Macht vorgestellt wird.      
           
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IV

     
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Die Idee eines Volks Gottes ist (unter menschlicher

     
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Veranstaltung) nicht anders als in der Form einer Kirche

     
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auszuführen.

     
           
  22 Die erhabene, nie völlig erreichbare Idee eines ethischen gemeinen      
  23 Wesens verkleinert sich sehr unter menschlichen Händen, nämlich zu einer      
  24 Anstalt, die allenfalls nur die Form desselben rein vorzustellen vermögend,      
  25 was aber die Mittel betrifft, ein solches Ganze zu errichten, unter Bedingungen      
  26 der sinnlichen Menschennatur sehr eingeschränkt ist. Wie kann      
  27 man aber erwarten, daß aus so krummem Holze etwas völlig Gerades gezimmert      
  28 werde?      
           
  29 Ein moralisches Volk Gottes zu stiften, ist also ein Werk, dessen Ausführung      
  30 nicht von Menschen, sondern nur von Gott selbst erwartet werden      
  31 kann. Deswegen ist aber doch dem Menschen nicht erlaubt, in Ansehung      
  32 dieses Geschäftes unthätig zu sein und die Vorsehung walten zu lassen, als      
  33 ob ein jeder nur seiner moralischen Privatangelegenheit nachgehen, das      
  34 Ganze der Angelegenheit des menschlichen Geschlechts aber (seiner moralischen      
  35 Bestimmung nach) einer höhern Weisheit überlassen dürfe. Er      
           
     

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