Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 124

     
           
 

Zeile:

 

Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Das ist also die menschlichen Augen unbemerkte, aber beständig fortgehende      
  02 Bearbeitung des guten Princips, sich im menschlichen Geschlecht      
  03 als einem gemeinen Wesen nach Tugendgesetzen eine Macht und ein Reich      
  04 zu errichten, welches den Sieg über das Böse behauptet und unter seiner      
  05 Herrschaft der Welt einen ewigen Frieden zusichert.      
           
  06

Zweite Abtheilung.

     
  07

Historische Vorstellung der allmähligen Gründung

     
  08

der Herrschaft des guten Princips auf Erden.

     
           
  09 Von der Religion auf Erden (in der engsten Bedeutung des Worts)      
  10 kann man keine Universalhistorie des menschlichen Geschlechts verlangen;      
  11 denn die ist, als auf dem reinen moralischen Glauben gegründet, kein      
  12 öffentlicher Zustand, sondern jeder kann sich der Fortschritte, die er in      
  13 demselben gemacht hat, nur für sich selbst bewußt sein. Der Kirchenglaube      
  14 ist es daher allein, von dem man eine allgemeine historische Darstellung      
  15 erwarten kann, indem man ihn nach seiner verschiedenen und veränderlichen      
  16 Form mit dem alleinigen, unveränderlichen, reinen Religionsglauben vergleicht.      
  17 Von da an, wo der erstere seine Abhängigkeit von den einschränkenden      
  18 Bedingungen des letztern und der Nothwendigkeit der Zusammenstimmung      
  19 mit ihm öffentlich anerkennt, fängt die allgemeine Kirche      
  20 an, sich zu einem ethischen Staat Gottes zu bilden und nach einem feststehenden      
  21 Princip, welches für alle Menschen und Zeiten ein und dasselbe      
  22 ist, zur Vollendung desselben fortzuschreiten. - Man kann voraussehen,      
  23 daß diese Geschichte nichts, als die Erzählung von dem beständigen Kampf      
  24 zwischen dem gottesdienstlichen und dem moralischen Religionsglauben      
  25 sein werde, deren ersteren als Geschichtsglauben der Mensch beständig geneigt      
  26 ist oben anzusetzen, anstatt daß der letztere seinen Anspruch auf den      
  27 Vorzug, der ihm als allein seelenbesserndem Glauben zukommt, nie aufgegeben      
  28 hat und ihn endlich gewiß behaupten wird.      
           
  29 Diese Geschichte kann aber nur Einheit haben, wenn sie bloß auf denjenigen      
  30 Theil des menschlichen Geschlechts eingeschränkt wird, bei welchem      
  31 jetzt die Anlage zur Einheit der allgemeinen Kirche schon ihrer Entwickelung      
  32 nahe gebracht ist, indem durch sie wenigstens die Frage wegen des Unterschieds      
  33 des Vernunft= und Geschichtglaubens schon öffentlich aufgestellt und      
  34 ihre Entscheidung zur größten moralischen Angelegenheit gemacht ist; denn      
           
     

[ Seite 123 ] [ Seite 125 ] [ Inhaltsverzeichnis ]