Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 123

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 der moralischen Anlage vernünftiger Wesen überhaupt steht, sich durchgängig      
  02 mitzutheilen. Die Hemmungen durch politische bürgerliche Ursachen,      
  03 die seiner Ausbreitung von Zeit zu Zeit zustoßen mögen, dienen      
  04 eher dazu, die Vereinigung der Gemüther zum Guten (was, nachdem sie      
  05 es einmal ins Auge gefaßt haben, ihre Gedanken nie verläßt) noch desto      
  06 inniglicher zu machen.*)      
           
           
    *) Dem Kirchenglauben kann, ohne daß man ihm weder den Dienst aufsagt, noch ihn befehdet, sein nützlicher Einfluß als eines Vehikels erhalten und ihm gleichwohl als einem Wahne von gottesdienstlicher Pflicht aller Einfluß auf den Begriff der eigentlichen (nämlich moralischen) Religion abgenommen werden und so bei Verschiedenheit statutarischer Glaubensarten Verträglichkeit der Anhänger derselben unter einander durch die Grundsätze der einigen Vernunftreligion, wohin die Lehrer alle jene Satzungen und Observanzen auszulegen haben, gestiftet werden; bis man mit der Zeit vermöge der überhandgenommenen wahren Aufklärung (einer Gesetzlichkeit, die aus der moralischen Freiheit hervorgeht) mit jedermanns Einstimmung die Form eines erniedrigenden Zwangsmittels gegen eine kirchliche Form, die der Würde einer moralischen Religion angemessen ist, nämlich die eines freien Glaubens, vertauschen kann. - Die kirchliche Glaubenseinheit mit der Freiheit in Glaubenssachen zu vereinigen, ist ein Problem, zu dessen Auflösung die Idee der objectiven Einheit der Vernunftreligion durch das moralische Interesse, welches wir an ihr nehmen, continuirlich antreibt, welches aber in einer sichtbaren Kirche zu Stande zu bringen, wenn wir hierüber die menschliche Natur befragen, wenig Hoffnung vorhanden ist. Es ist eine Idee der Vernunft, deren Darstellung in einer ihr angemessenen Anschauung uns unmöglich ist, die aber doch als praktisches regulatives Princip objective Realität hat, um auf diesen Zweck der Einheit der reinen Vernunftreligion hinzuwirken. Es geht hiermit, wie mit der politischen Idee eines Staatsrechts, so fern es zugleich auf ein allgemeines und machthabendes Völkerrecht bezogen werden soll. Die Erfahrung spricht uns hierzu alle Hoffnung ab. Es scheint ein Hang in das menschliche Geschlecht (vielleicht absichtlich) gelegt zu sein, daß ein jeder einzelne Staat, wenn es ihm nach Wunsch geht, sich jeden andern zu unterwerfen und eine Universalmonarchie zu errichten strebe; wenn er aber eine gewisse Größe erreicht hat, sich doch von selbst in kleinere Staaten zersplittere. So hegt eine jede Kirche den stolzen Anspruch eine allgemeine zu werden; so wie sie sich aber ausgebreitet hat und herrschend wird, zeigt sich bald ein Princip der Auflösung und Trennung in verschiedene Secten.      
           
    †) Das zu frühe und dadurch (daß es eher kommt, als die Menschen moralisch besser geworden sind) schädliche Zusammenschmelzen der Staaten wird - wenn es uns erlaubt ist hierin eine Absicht der Vorsehung anzunehmen - vornehmlich durch zwei mächtig wirkende Ursachen, nämlich Verschiedenheit der Sprachen und Verschiedenheit der Religionen, verhindert.      
           
     

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