Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 418

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Fällen aus meiner eigenen praktischen Vernunft hervorgeht, durch welche      
  02 ich genöthigt werde, indem ich zugleich der Nöthigende in Ansehung meiner      
  03 selbst bin.*)      
           
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§ 3. Aufschluß dieser scheinbaren Antinomie.
     
           
  05 Der Mensch betrachtet sich in dem Bewußtsein einer Pflicht gegen      
  06 sich selbst, als Subject derselben, in zwiefacher Qualität: erstlich als Sinnenwesen,      
  07 d. i. als Mensch (zu einer der Thierarten gehörig); dann aber      
  08 auch als Vernunftwesen (nicht blos vernünftiges Wesen, weil die Vernunft      
  09 nach ihrem theoretischen Vermögen wohl auch die Qualität eines      
  10 lebenden körperlichen Wesens sein könnte), welches kein Sinn erreicht und      
  11 das sich nur in moralisch=praktischen Verhältnissen, wo die unbegreifliche      
  12 Eigenschaft der Freiheit sich durch den Einfluß der Vernunft auf den      
  13 innerlich gesetzgebenden Willen offenbar macht, erkennen läßt.      
           
  14 Der Mensch nun als vernünftiges Naturwesen ( homo phaenomenon )      
  15 ist durch seine Vernunft, als Ursache, bestimmbar zu Handlungen      
  16 in der Sinnenwelt, und hiebei kommt der Begriff einer Verbindlichkeit      
  17 noch nicht in Betrachtung. Eben derselbe aber seiner Persönlichkeit      
  18 nach, d. i. als mit innerer Freiheit begabtes Wesen ( homo noumenon )      
  19 gedacht, ist ein der Verpflichtung fähiges Wesen und zwar gegen sich selbst      
  20 (die Menschheit in seiner Person) betrachtet, so: daß der Mensch (in zweierlei      
  21 Bedeutung betrachtet), ohne in Widerspruch mit sich zu gerathen (weil      
  22 der Begriff vom Menschen nicht in einem und demselben Sinn gedacht      
  23 wird), eine Pflicht gegen sich selbst anerkennen kann.      
           
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§ 4. Vom Princip der Eintheilung der Pflichten gegen
     
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sich selbst.
     
           
  26 Die Eintheilung kann nur in Ansehung des Objects der Pflicht, nicht      
  27 in Ansehung des sich verpflichtenden Subjects gemacht werden. Das      
           
    *) So sagt man, wenn es z. B. einen Punkt meiner Ehrenrettung oder der Selbsterhaltung betrifft: "Ich bin mir das selbst schuldig". Selbst wenn es Pflichten von minderer Bedeutung, die nämlich nicht das Nothwendige, sondern nur das Verdienstliche meiner Pflichtbefolgung betreffen, spreche ich so, z. B.: "Ich bin es mir selbst schuldig meine Geschicklichkeit für den Umgang mit Menschen u. s. w. zu erweitern (mich zu cultiviren)."      
           
     

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