Kant: AA VII, Der Streit der ... , Seite 067

   
         
 

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  01 Ausleger zu Theil gewordene Offenbarung annimmt, der Göttlichkeit der    
  02 Religion beständig Abbruch thun muß. - Also ist nur die doctrinale    
  03 Auslegung, welche nicht (empririsch) zu wissen verlangt, was der heilige    
  04 Verfasser mit seinen Worten für einen Sinn verbunden haben mag, sondern    
  05 was die Vernunft (a priori) in moralischer Rücksicht bei Veranlassung    
  06 einer Spruchstelle als Text der Bibel für eine Lehre unterlegen kann,    
  07 die einzige evangelisch=biblische Methode der Belehrung des Volks in der    
  08 wahren, inneren und allgemeinen Religion, die von dem particulären Kirchenglauben    
  09 als Geschichtsglauben - unterschieden ist; wobei dann alles    
  10 mit Ehrlichkeit und Offenheit, ohne Täuschung zugeht, da hingegen das    
  11 Volk, mit einem Geschichtsglauben, den keiner desselben sich zu beweisen    
  12 vermag, statt des moralischen (allein seligmachenden), den ein jeder faßt,    
  13 in seiner Absicht (die es haben muß) getäuscht, seinen Lehrer anklagen    
  14 kann.    
         
  15 In Absicht auf die Religion eines Volks, das eine heilige Schrift zu    
  16 verehren gelehrt worden ist, ist nun die doctrinale Auslegung derselben,    
  17 welche sich auf sein (des Volks) moralisches Interesse - der Erbauung,    
  18 sittlichen Besserung und so der Seligwerdung - bezieht, zugleich die authentische:    
  19 d. i. so will Gott seinen in der Bibel geoffenbarten Willen verstanden    
  20 wissen. Denn es ist hier nicht von einer bürgerlichen, das Volk    
  21 unter Disciplin haltenden (politischen), sondern einer auf das Innere der    
  22 moralischen Gesinnung abzweckenden (mithin göttlichen) Regierung die    
  23 Rede. Der Gott, der durch unsere eigene (moralisch=praktische) Vernunft    
  24 spricht, ist ein untrüglicher, allgemein verständlicher Ausleger dieses seines    
  25 Worts, und es kann auch schlechterdings keinen anderen (etwa auf historische    
  26 Art) beglaubigten Ausleger seines Worts geben: weil Religion eine    
  27 reine Vernunftsache ist.    
         
  28 Und so haben die Theologen der Facultät die Pflicht auf sich, mithin    
  29 auch die Befugniß, den Bibelglauben aufrecht zu erhalten: doch unbeschadet    
  30 der Freiheit der Philosophen, ihn jederzeit der Kritik der Vernunft zu    
  31 unterwerfen, welche im Falle einer Dictatur (des Religionsedicts), die    
  32 jener oberen etwa auf kurze Zeit eingeräumt werden dürfte, sich durch die    
  33 solenne Formel bestens verwahren: Provideant consules, ne quid respublica    
  34 detrimenti capiat.    
         
         
     

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