Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 166

   
         
 

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  01 eines gesunden Menschen, sich der Vorstellungen durch äußere Sinne bewußt    
  02 werden zu können. Hiezu die Sacherklärung zu finden, bleibt den    
  03 Physiologen überlassen, welche diese Abspannung, die doch zugleich eine    
  04 Sammlung der Kräfte zu erneuter äußeren Sinnenempfindung ist    
  05 (wodurch sich der Mensch gleich als neugeboren in der Welt sieht, und    
  06 womit wohl ein Dritttheil unserer Lebenszeit unbewußt und unbedauret    
  07 dahingeht), - wenn sie können, erklären mögen.    
         
  08 Der widernatürliche Zustand einer Betäubung der Sinnwerkzeuge,    
  09 welche einen geringeren Grad der Aufmerksamkeit auf sich selbst als im    
  10 natürlichen zur Folge hat, ist ein Analagon der Trunkenheit, daher der    
  11 aus einem festen Schlaf schnell Aufgeweckte schlaftrunken genannt wird.    
  12 Er hat noch nicht seine völlige Besinnung. - Aber auch im Wachen kann    
  13 eine plötzlich jemanden anwandelnde Verlegenheit, sich zu besinnen, was    
  14 man in einem unvorhergesehenen Falle zu thun habe, als Hemmung des ordentlichen    
  15 und gewöhnlichen Gebrauchs seines Reflexionsvermögens, einen    
  16 Stillstand im Spiel der Sinnenvorstellungen hervorbringen, bei dem man    
  17 sagt: er ist aus der Fassung gebracht, außer sich, (vor Freude oder Schreck)    
  18 perplex, verdutzt, verblüfft, hat den Tramontano*) verloren u. d. g.,    
  19 und dieser Zustand ist wie ein augenblicklich anwandelnder Schlaf, der    
  20 eines Sammelns seiner Sinnenempfindungen bedarf, anzusehen. Im    
  21 heftigen, plötzlich erregten Affect (des Schrecks, des Zorns, auch wohl der    
  22 Freude) ist der Mensch, wie man sagt, außer sich, (in einer Ekstasis,    
  23 wenn man sich in einer Anschauung, die nicht die der Sinne ist, begriffen    
  24 zu sein glaubt) seiner selbst nicht mächtig und für den Gebrauch äußerer    
  25 Sinne einige Augenblicke gleichsam gelähmt.    
         
  26 § 27. Die Ohnmacht, welche auf einen Schwindel (einen schnell    
  27 im Kreise wiederkehrenden und die Fassungskraft übersteigenden Wechsel    
  28 vieler ungleichartigen Empfindungen) zu folgen pflegt, ist ein Vorspiel    
  29 von dem Tod. Die gänzliche Hemmung dieser insgesammt ist Asphyxie    
  30 oder der Scheintod, welcher, so viel man äußerlich wahrnehmen kann,    
  31 nur durch den Erfolg von dem wahren zu unterscheiden ist (wie bei Ertrunkenen,    
  32 Gehenkten, im Dampf Erstickten).    
         
  33 Das Sterben kann kein Mensch an sich selbst erfahren (denn eine    
         
    Tramontano oder Tramontana heißt der Nordstern; und perdere la tramontana , den Nordstern (als Leitstern der Seefahrer) verlieren,heißt aus der Fassung kommen, sich nicht zu finden wissen.    
         
     

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