Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 349

     
           
 

Zeile:

 

Text (Kant):

 

 

 

 
  01 aufgelöseten Erdart erzeugt. Eben so bilden sich die drusichten Configurationen      
  02 vieler Minern, des würflichten Bleiglanzes, des Rothgüldenerzes      
  03 u. d. gl., allem Vermuthen nach auch im Wasser und durch anschießen      
  04 der Theile: indem sie durch irgend eine Ursache genöthigt werden, dieses      
  05 Vehikel zu verlassen und sich unter einander in bestimmte äußere Gestalten      
  06 zu vereinigen.      
           
  07 Aber auch innerlich zeigen alle Materien, welche bloß durch Hitze      
  08 flüssig waren und durch erkalten Festigkeit angenommen haben, im Bruche      
  09 eine bestimmte Textur und lassen daraus urtheilen, daß, wenn nicht ihr      
  10 eigenes Gewicht oder die Luftberührung es gehindert hätte, sie auch äußerlich      
  11 ihre specifisch eigenthümliche Gestalt würden gewiesen haben: dergleichen      
  12 man an einigen Metallen, die nach der Schmelzung äußerlich      
  13 erhärtet, inwendig aber noch flüssig waren, durch Abzapfen des innern,      
  14 noch flüssigen Theils und nunmehriges ruhiges Anschießen des übrigen      
  15 inwendig zurückgebliebenen beobachtet hat. Viele von jenen mineralischen      
  16 Krystallisationen, als die Spatdrusen, der Glaskopf, die Eisenblüthe,      
  17 geben oft überaus schöne Gestalten, wie sie die Kunst nur immer ausdenken      
  18 möchte; und die Glorie in der Höhle von Antiparos ist bloß das Product      
  19 eines sich durch Gipslager durchsickernden Wassers.      
           
  20 Das Flüssige ist allem Ansehen nach überhaupt älter als das Feste,      
  21 und sowohl die Pflanzen als thierische Körper werden aus flüssiger      
  22 Nahrungsmaterie gebildet, sofern sie sich in Ruhe formt: freilich zwar in      
  23 der letztern zuvörderst nach einer gewissen ursprünglichen auf Zwecke gerichteten      
  24 Anlage (die, wie im zweiten Theile gewiesen werden wird, nicht      
  25 ästhetisch, sondern teleologisch nach dem Princip des Realisms beurtheilt      
  26 werden muß); aber nebenbei doch auch vielleicht als dem allgemeinen Gesetze      
  27 der Verwandtschaft der Materien gemäß anschießend und sich in Freiheit      
  28 bildend. So wie nun die in einer Atmosphäre, welche ein Gemisch      
  29 verschiedener Luftarten ist, aufgelöseten wäßrigen Flüssigkeiten, wenn sich      
  30 die letzteren durch Abgang der Wärme von jener scheiden, Schneefiguren      
  31 erzeugen, die nach Verschiedenheit der dermaligen Luftmischung von oft      
  32 sehr künstlich scheinender und überaus schöner Figur sind: so läßt sich,      
  33 ohne dem teleologischen Princip der Beurtheilung der Organisation etwas      
  34 zu entziehen, wohl denken: daß, was die Schönheit der Blumen, der Vogelfedern,      
  35 der Muscheln ihrer Gestalt sowohl als Farbe nach betrifft, diese      
  36 der Natur und ihrem Vermögen, sich in ihrer Freiheit ohne besondere      
  37 darauf gerichtete Zwecke nach chemischen Gesetzen durch Absetzung der zur      
           
     

[ Seite 348 ] [ Seite 350 ] [ Inhaltsverzeichnis ]