Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 013

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 sagen können, daß zwischen Vernunft und Schrift nicht blos Verträglichkeit,      
  02 sondern auch Einigkeit anzutreffen sei, so daß, wer der einen (unter      
  03 Leitung der moralischen Begriffe) folgt, nicht ermangeln wird auch mit      
  04 der anderen zusammen zu treffen. Träfe es sich nicht so, so würde man      
  05 entweder zwei Religionen in einer Person haben, welches ungereimt ist,      
  06 oder eine Religion und einen Cultus, in welchem Fall, da letzterer      
  07 nicht (so wie Religion) Zweck an sich selbst ist, sondern nur als Mittel      
  08 einen Werth hat, beide oft müßten zusammengeschüttelt werden, um sich      
  09 auf kurze Zeit zu verbinden, alsbald aber wie Öl und Wasser sich wieder      
  10 von einander scheiden und das Reinmoralische (die Vernunftreligion) oben      
  11 auf müßten schwimmen lassen.      
           
  12 Daß diese Vereinigung oder der Versuch derselben ein dem philosophischen      
  13 Religionsforscher mit vollem Recht gebührendes Geschäft und      
  14 nicht Eingriff in die ausschließlichen Rechte des biblischen Theologen sei,      
  15 habe ich in der ersten Vorrede angemerkt. Seitdem habe ich diese Behauptung      
  16 in der Moral des sel. Michaelis (Erster Theil, S. 5 - 11),      
  17 eines in beiden Fächern wohl bewanderten Mannes, angeführt und durch      
  18 sein ganzes Werk ausgeübt gefunden, ohne daß die höhere Facultät darin      
  19 etwas ihren Rechten Präjudicirliches angetroffen hätte.      
           
  20 Auf die Urtheile würdiger, genannter und ungenannter Männer über      
  21 diese Schrift habe ich in dieser zweiten Auflage, da sie (wie alles auswärtige      
  22 Litterarische) in unseren Gegenden sehr spät einlaufen, nicht Bedacht      
  23 nehmen können, wie ich wohl gewünscht hätte, vornehmlich in Ansehung      
  24 der Annotationes quaedam theologicae etc. des berühmten Hrn.      
  25 D. Storr in Tübingen, der sie mit seinem gewohnten Scharfsinn, zugleich      
  26 auch mit einem den größten Dank verdienenden Fleiße und Billigkeit in      
  27 Prüfung genommen hat, welche zu erwiedern ich zwar Vorhabens bin, es      
  28 aber zu versprechen, der Beschwerden wegen, die das Alter vornehmlich      
  29 der Bearbeitung abstracter Ideen entgegen setzt, mir nicht getraue.      
  30 eine Beurtheilung, nämlich die in den Greifswalder N. Krit. Nachrichten,      
  31 29. Stück, kann ich eben so kurz abfertigen, als es der Recensent mit der      
  32 Schrift selbst gethan hat. Denn sie ist in seinem Urtheile nach nichts anders,      
  33 als Beantwortung der mir von mir selbst vorgelegten Frage: "Wie ist      
  34 das kirchliche System der Dogmatik in seinen Begriffen und Lehrsätzen      
  35 nach reiner (theor. und prakt.) Vernunft möglich?" - Dieser Versuch      
  36 gehe also überall diejenige nicht an, die sein (K.,s) System so wenig      
  37 kennen und verstehen, als sie dieses zu können verlangen und für sie also      
           
     

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